
Innenminister: „Wir können Sie gut gebrauchen!“
Die Situation ist angespannt. Junge Menschen sehen sich von der Politik weder repräsentiert, noch wahrgenommen. 60 Prozent der Bevölkerung kann mit dem Staat nichts mehr anfangen. Aufgrund von Fachkräftemangel wird es immer schwerer, mit dem Staat noch einen Staat zu machen. Beim Landesjugendtag dbb jugend nrw gings es genau darum – auch beim Impulsreferat von NRW-Innenminister Herbert Reul.
Die Reihen waren bis auf den letzten Platz besetzt als Susanne Aumann, zu diesem Zeitpunkt noch Landesjugendleiterin der dbb jugend nrw, den 21. Landesjugendtag eröffnet und das Wort übergibt „an jemanden, der uns immer begleitet hat in unserer Arbeit: Innenminister Herbert Reul“, so Aumann. Als dieser für ein Impulsreferat zum Motto des Landesjugendtages „Zukunft sichern – Nachwuchs stärken“ die Bühne betritt, füllen nicht nur Delegierte und Gastdelegierte der dbb jugend nrw die Reihen, sondern auch Fraktionsvorsitzende, Landtagsabgeordnete, sowie Spitzen aus Gewerkschaft und Verbandsleben.
”Der Staat verliert sein Vertrauen. Deshalb braucht der Öffentliche Dienst junge Leute, die leistungsbereit, engagiert und ideenreich sind.
Herbert ReulNRW-Innenminister
Seine Ansprache beginnt Reul überraschend, indem er sein vorbereitetes Redeskript zur Seite legt: „Wir beobachten eine zunehmende Entfremdung der Menschen von ihrem Staat. Ich habe vor kurzem eine Umfrage gelesen, in der 60 Prozent der Befragten angaben, mit den staatlichen Institutionen nichts mehr anfangen zu können“, bringt der Minister in nachdenklichen Worten zum Ausdruck, was ihn umtreibt. Die Menschen wendeten sich ab und verlören ihr Vertrauen in die Fähigkeiten des Staats. „Mich beunruhigt das sehr. Der Staat muss aber beweisen, dass er es kann. Deshalb ist es so wichtig, dass die, die mit den Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt sind, einen guten Job machen. Nur so wird Vertrauen aufgebaut“, fährt Minister Reul fort. Kein Plakat, kein Video könne das so gut erreichen wie der persönliche Kontakt und die persönliche Erfahrung. Deshalb brauche der Öffentliche Dienst junge Leute, die leistungsbereit, engagiert und ideenreich seien. „Ich bin hier um zu sagen: Wir können Sie gut brauchen. Dankeschön!“, so der Minister weiter.
20.000 Leerstellen – es müssen Taten folgen
„Wir sind als Öffentlicher Dienst in einer Sandwichposition: Wir werden oft für die Entscheidungen der Politik verantwortlich gemacht“, stellt Roland Staude, Vorsitzender des DBB NRW in seiner Begrüßungsansprache voran. Der Fachkräftemangel sei eklatant und verlange den beherzten Willen zur Modernisierung. „Wir haben fast 20.000 Leerstellen – fast so viele Einwohner wie in Xanten“, sagt Staude. Diese immer größer werdende Lücke könne man nur schließen, wenn man Taten folgen lasse, das Dienstrecht modernisiere, die Eingangsgehälter anhebe und dem Leistungsprinzip mehr Bedeutung beimesse, macht Staude deutlich.
„Eure Leidenschaft für die Belange der jungen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ist außergewöhnlich“, lässt der Bundesjugendleiter der dbb jugend Matthäus Fandrejewski die jungen Delegierten und Gastdelegierten wissen. Die dbb jugend nrw habe geschafft, eine Plattform für die Beteiligung junger Menschen zu sein und in gemeinsamen Projekten und Initiativen nicht nur Themen anzugehen, sondern auch Lösungen zu finden. „Die Digitalisierung und der demografische Wandel stellen uns vor große Herausforderungen. Ihr bringt auch hier frische Ideen mit, bezieht junge Menschen mit ein und helft bei der Weiterentwicklung des Öffentlichen Dienstes“, betont der Bundesjugendchef.
Voraussetzung: Bewusstsein dafür haben, wie Jugendliche ticken
Als Jugenddachverband sieht sich die dbb jugend nrw jedoch nicht nur als Sprachrohr für junge Menschen, die sich in ihrer Ausbildung und beim Einstieg ins Berufsleben für Verbesserungen im Öffentlichen Dienst stark machen wollen. Ebenso ist der gewerkschaftliche Jugenddachverband als Spiegel für die Interessen Jugendlicher insgesamt unterwegs und trägt dazu bei, die Gesamtsituation junger Menschen in Gesellschaft, Schule und Ausbildung zu verbessern. In dieser Eigenschaft ist die dbb jugend nrw der Interessensvertretung aller Jugendverbände in NRW – dem Landesjugendring NRW – angeschlossen.
Dieses Engagement sei in Summe unverzichtbar und die Herausforderungen groß und vielfältig, betont Max Holzer, Vorsitzender des Landesjugendringes. „Um nur ein paar Stichworte zu nennen: Ausbildungsbedingungen spielen eine Rolle, die digitale Teilhabe, die Wohnungssituation für junge Menschen und vieles mehr“, betont er bei seiner Begrüßung. Eine Gesellschaft, die die Jugend ignoriere, säge an ihrem Fundament, so Holzer weiter.
Die Situation Jugendlicher in der Gesellschaft wie auch im Berufsleben bis hin zu Perspektiven, die ein attraktiver Öffentlicher Dienst als Arbeitgeber bietet, nahmen die Diskutantinnen und Diskutanten einer Podiumsdiskussion unter Moderation von Milena Neumes ins Visier. Für manchen überraschend – die Aussage vom Schulleiter des Dalton-Gymnasiums Alsdorf Martin Wüller: „Die meisten Schülerinnen und Schüler sind über das Schulische hinaus ehrenamtlich für die Gesellschaft aktiv.“ Allerdings werde das von der Gesellschaft vollkommen anders wahrgenommen. Auch seien Schülerinnen und Schüler heutzutage politisch sehr interessiert. Im Alsdorfer Gymnasium wird Teilhabe und Eigenverantwortlichkeit junger Menschen über das Dalton-System sowie den Schülerrat gelebt und vermittelt.
Eine andere Form der Beteiligung könnten Jugendliche in Vereinen und Verbänden erlernen, findet Max Holzer. „Beispielsweise im Sport, da wo junge Menschen zusammenkommen und erleben wie es ist zusammen zu sein – das sind erste Beteiligungen“, sagt der Vorsitzende des Landesjugendrings.
Mit Blick auf den Start ins Berufsleben weiß Martin Bornträger, Präsident der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, dass Lehre an der Hochschule analog den Anforderungen, die das Berufsleben erfüllen muss, ebenfalls einem extremen Wandel unterliege. „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass das, was in der Gesellschaft passiert, im Job umgesetzt werden kann“, sagt Bornträger. Dementsprechend spiele auch in diesem Bereich das Thema Digitalisierung eine große Rolle.
Über direkte Ansprache Jugendliche in den Öffentlichen Dienst holen
Eine veränderte Situation nimmt auch Anna Carla Springob, Spezialistin für Personalmarketing im Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW wahr. Der Öffentliche Dienst habe zu wenig kommuniziert, was er gut mache und warum er attraktiv als Arbeitgeber sei. Bettina Mötting, Amtsleiterin im Amt für Personal der Landeshauptstadt Düsseldorf, hat gute Erfahrungen damit gemacht, auf eine direkte Ansprache junger Menschen zu setzen, um sie auf diese Art beispielsweise auch mit Aktionen in der Stadt für den Öffentlichen Dienst zu begeistern. Nach solchen Aktionen seien hunderte von Bewerbungen zu registrieren.
Mit Blick auf Veränderungen, die passieren müssen, um das Arbeiten in öffentlichen Verwaltungen für junge Menschen attraktiver zu machen, hält Nicole Schorn, frisch gewählte Landesjugendleiterin der dbb jugend nrw fest: „Der Öffentliche Dienst matcht gut mit den Vorstellungen junger Leute. Allerdings müssen wir hart daran arbeiten, ihn mit flexiblen Arbeitszeiten, einer veränderten Laufbahnverordnung und angemessener Bezahlung als Arbeitgeber interessant zu machen.“
Heiter und flott fasste Poetry Slamer Jesko Habert von den Kiezpoeten die Ergebnisse der Öffentlichkeitsveranstaltung zusammen und zeigte so auf beeindruckende Art, wie vielfältig die Arbeit des gewerkschaftlichen Jugenddachverbandes ist.
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