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Interview: Warum Jugendliche aus Sorge Rechts wählen

Jugendpolitik
2. Juli 2024

Sie sind jung, sie sind die Zukunft des Landes – und sie fühlen sich nicht wahrgenommen. Wie fatal das sein kann, zeigte jüngst die Europawahl. Wie Jugendliche ihre Zukunft sehen, was sie umtreibt und warum Politik und Arbeitgeber das auf dem Schirm haben sollten, erklärt uns Jugendexperte Klaus Hurrelmann im Interview.

Die Krisenkinder gehen an die Urne: Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Nahostkonflikt, Aufstieg der AfD. Es waren 5,1 Millionen, die bei der Europawahl zum ersten Mal ihre Stimme abgeben konnten. Mehr denn je: In Summe drei Jahrgänge, die durch das Herabsetzen des Wahlalters auf 16 ihr politisches Votum erstmals abgeben konnten. Und das taten sie – zum Unbehagen etablierter Parteien – mit einem deutlich spürbaren Rechtsdruck.

16 Prozent der 16- bis 24-Jährigen wählten deutschlandweit die AfD und sorgten damit für ein bundesweites Plus von 11 Prozentpunkten für die umstrittene Partei. Für Jugendforscher wie Klaus Hurrelmann ist das kein überraschendes Ergebnis. Was manchem ein ungläubiges Stirnrunzeln ins Gesicht holt und erklärungsbedürftig ist, ist für Klaus Hurrelmann, der seit vielen Jahren Jugendverhalten und -strömungen untersucht, nachvollziehbar, erklärbar und logisch. Im Interview mit der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw) legt er die Ergebnisse seiner jüngsten Studie (Trendstudie) dar und zieht daraus Schlussfolgerungen, die Politiker/innen wie auch Arbeitgeber interessieren sollten.

Herr Hurrelmann, seit vielen Jahren nehmen Sie unter die Lupe, was Jugendliche umtreibt und wie sie ticken. Was hat die aktuelle Trend-Studie ergeben?

Klaus Hurrelmann: Es ist auffällig, dass der jugendtypische Optimismus bröckelt. Dieses: Wir sind jung, wir sind gesund und tatkräftig. Wir werden das schon schaffen, auch wenn die Bedingungen vielleicht nicht ideal sind – wir kommen irgendwie durch. Diese Grundhaltung war 2020 zu Beginn der Pandemie noch da, schrumpfte dann und nimmt auch jetzt immer noch weiter ab.

Ein zudem auffälliger Trend: Es gibt Unterschiede zwischen der persönlichen und der gesellschaftlichen Einschätzung. Persönlich glaubt man noch so gerade, dass man es irgendwie hinbekommt. Die gesellschaftliche Einschätzung ist aber bereits jetzt bei einem nur noch schwachen Optimismus angekommen, dass man es bei den schwierigen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen schaffen wird, seinen Weg zu finden.

Was heißt das?

Was sich da zeigt, beruht nicht auf einer Laune der Jugend, sondern ist ein Widerspiegeln von Erfahrungen. Gehen wir zurück in die Pandemie: Da geben die jungen Leute zu Protokoll, dass die politische Öffentlichkeit und Entscheidungsträger sich nicht besonders mit ihnen beschäftigt haben. Zwar gab es mal eine Diskussion über sie als es darum ging, ob die Schulen nochmals geschlossen werden sollen oder nicht. Es gab aber zu keinem Zeitpunkt eine Diskussion mit ihnen. Sie haben die Botschaft bekommen: „Wie es euch geht, ist uninteressant und auch für die politische Debatte nicht von Bedeutung.“ Es war wichtig, wie es den arbeitenden und den alten Menschen geht, da diese wahlentscheidend sind. Durch diese Signale ist bei den jungen Leuten angekommen, dass ihre Situation nicht das ist, was im politischen Leben im Vordergrund steht.

Welche Folgen ergeben sich daraus?

Sie fühlen sich – ganz objektiv nachvollziehbar – in der öffentlichen Diskussion und Entscheidungswelt nicht beachtet und haben gleichzeitig ihre Intuition, die ihnen sagt: Aufwärts wird es eine Zeit lang jetzt nicht mehr gehen. Die wirtschaftliche Situation und die Wohlstandssituation werden sich eher verschlechtern. Es wird ihnen ihrer Befürchtung nach wahrscheinlich nicht einmal mehr möglich sein, das Wohlstandsniveau der Eltern zu halten. Das ist ein ganz wichtiger Kern des bröckelnden Optimismus, der schon fast in Pessimismus umschlägt. Sie gehen davon aus, dass durch den Krieg und die Inflation die finanzielle Sicherheit schwächer wird, dass sie keine auskömmliche Rente haben und möglicherweise im Alter in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten werden.

Ein Blick auf die politische Einstellung der jungen Menschen: Es gibt einen sehr starken Rechtsruck. Wie wird sich das auswirken?

Viele der etablierten Parteien haben zu spät erkannt, dass die junge Generation ernst zu nehmen ist. Wir hatten jetzt bei der Europawahl fast 5 Millionen Erstwählende, die sich digital und über soziale Kanäle informieren. Das wird bald typisch für die Gesamtbevölkerung sein. Da hat die AfD als 2013 gegründete und im digitalen Zeitalter groß gewordenen Partei die Zeichen der Zeit schneller erkannt und darüber auf sich aufmerksam gemacht.

Bröckelnder Optimismus, mangelnde Zukunftsaussichten, das Gefühl, dass die Verhältnisse schlechter werden und Gefahren lauern – Krieg, Klima und Wirtschaft sorgen für Verunsicherung und dies wird den Regierungsparteien angekreidet. Diese verlieren alle drei. Besonders dramatisch ist es für die Grünen und die FDP – das Privileg der vorangegangenen Bundestagswahl haben sie verloren. Und wie immer, wenn junge Leute unzufrieden sind mit einer Regierung, wechseln sie zur Opposition. Da geht die Stimmung in Richtung CDU/CSU, AfD und Bündnis Sarah Wagenknecht.

Thema „auskömmliche Rente“ und „wirtschaftliche Ausweglosigkeit“: Es gibt zu wenig Fachkräfte, auch der Öffentliche Dienst wirbt um junge Menschen. Hat er nicht gute Chancen in den unsicheren Zeiten?

Wir haben nicht gezielt danach gefragt, aber ja, ich würde zustimmen. Wir haben ja einen gerade noch bestehenden Optimismus auch deswegen, weil die jungen Leute spüren, dass sie im Ausbildungs- und Berufsbereich sehr gute Chancen haben. Die großen Jahrgänge der Babyboomer treten Schritt für Schritt aus dem Berufsleben aus. Das sind von der Kopfzahl her doppelt so starke Jahrgänge. Junge Leute merken, dass sie sowohl im öffentlichen wie auch privaten Sektor keine Probleme haben, einen Job zu finden.

Was sollten Arbeitgeber auf dem Schirm haben?

Da kommt eine junge Generation, die will mitgenommen werden. Die will ein deutliches Angebot eines guten Betriebsklimas haben. Sie will fair und vernünftig bezahlt werden, weil sie gelernt hat, wie bedeutsam es ist, genügend Geld zu haben, gerade in Bezug auf die Krisenzeiten. Sie möchte eine zugewandte Atmosphäre haben und sie möchte sich vor allen Dingen gesundheitlich nicht verausgaben. Das ist die große Sorge der jungen Leute – auch durch die Corona-Pandemie mit verursacht – dass man sich gerade im digitalen Zeitalter ganz leicht übernehmen kann und dann keine gesundheitliche Kraft mehr hat.

Der Öffentliche Dienst müsste da sehr gute Chancen haben. Allerdings ist das kein Selbstläufer. Was die jungen Leute nämlich auch schätzen, ist ein hohes Maß an Flexibilität, Offenheit, Zugewandtheit – also einen Arbeitgeber, der sich wirklich für sie interessiert. Da kann es sein, dass dem öffentlichen Sektor hier und da seine Steifheit und sehr starke rechtliche Gebundenheit sowie sein bürokratischer Charakter im Wege stehen. Eine Chance für die ein oder andere Privatfirma bei jungen Leuten zu punkten, wenn sie sich offen, beweglich und zugewandt zeigt.

→ Mehr darüber, welche Aufgabe Jugendverbänden jetzt zukommt und wie es um ehrenamtliches Engagement junger Menschen steht, erfahrt ihr in Teil 2 des Interviews.

Zur Person:
Klaus Hurrelmann ist bekannter Jugendforscher in Deutschland. Er ist Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler und seit 2009 Professor für Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin. Er führt vergleichende Studien zur Einstellung, Werteorientierung und zum Verhalten von Jugendlichen durch. Hierzu zählen die Shell Jugendstudien sowie die Trendstudien „Jugend in Deutschland“. Die dbb jugend nrw führte bereits mehrere Interviews mit dem Jugendforscher.

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