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Ergebnisse aus Sicherheitskonferenz fließen in NRW-Landesinitiative ein

Gewalt gegen Beschäftigte
6. September 2021

Siebzehn potenziell tödliche Angriffe auf Kommunalbeschäftigte mit Waffen oder Gegenständen listet die Stadt Köln in ihrem einzigartigen Meldesystem seit Januar 2019. Auf der Sicherheitskonferenz der dbb jugend nrw berichtete die Leiterin des Zentrums für Kriminalprävention und Sicherheit der Stadt über dieses System und wie es das Arbeiten für die Beschäftigten sicherer macht.

Die Zahlen sprechen für sich: 149 Beschäftigte der Kommunalverwaltung in Köln haben zwischen Januar 2019 und Ende August 2021 selbst einen Angriff erlebt. 132 erlebten dabei körperliche Gewalt, Bedrohung oder Nötigung. Bei 17 ging es sogar um Leben und Tod. Sehr eindringlich zeigt in den Grafiken, die Dolores Burkert, Leiterin des Zentrums für Kriminalprävention und Sicherheit der Stadt Köln zeigt, die Entwicklungslinie steil bergauf. Das heißt im Klartext: Die Zahl der gefährlichen Übergriffe nimmt zu.

Täter bleiben nicht mehr unsichtbar

Dies kann man in Köln darum so genau sagen, weil jeder einzelne Fall dokumentiert wird. In erster Linie geschieht dies jedoch nicht, um einen Überblick über die Situation zu bekommen, sondern um die Mitarbeiter/innen zu schützen. Denn zusammen mit dem Ereignis hält die Datenbank, das Herzstück von ZeMAG – dem Zentralen Melde- und Aus­kunfts­system bei Gefährdungen von kommunalen Mitarbeitenden, auch fest, von welcher Person die entsprechende Tat begangen wurde.

Kommt es also in einem Bürgerbüro zu einem Übergriff, wird der Zwischenfall nicht nur zur Anzeige gebracht und weiter verfolgt, sondern auch erfasst. In der Datenbank können sich andere dafür freigeschaltete Personen – wie solche im Außendienst oder mit viel Publikumsverkehr – präventiv darüber informieren, ob sie möglicherweise mit Bürgern zu tun haben, die bereits an anderer Stelle durch Gewaltübergriffe auffällig geworden sind.

20 digitale Zuhörer lauschen Exklusiv-Vortrag über Kölner Meldesystem

Nach welchen Kriterien dies genau funktioniert und welche weiteren Funktionen ZeMAG beinhaltet, um von der Anzeige bis hin zur Bereitstellung von Hilfen und Schulungsmaßnahmen alle sicherheitsrelevanten Belange für die Beschäftigten zu verbessern, erklärte Burkert in einem Exklusiv-Vortrag zu Beginn der 7. Sicherheitskonferenz der dbb jugend nrw.

Rund 20 junge Leute aus den Reihen des gewerkschaftlichen Dachverbandes hatten diese Chance genutzt und sich digital zugeschaltet. „Ein solches Meldesystem flächendeckend zum Einsatz zu bringen, wäre eine tolle und auf die Sicherheitssteigerung der Mitarbeiter gerichtete Verbesserung“, sagt Susanne Aumann im Nachgang der Konferenz. Tatsächlich liegen in Köln bereits Anfragen großer Kommunen und Behörden vor, die sich ebenfalls wünschen würden, bereits bestehende Sicherheitsvorkehrungen durch ZeMAG zu ergänzen.

Rechtlichen Grauzonen müssen verschwinden

Eine der Kernproblematiken jedoch: Noch fehlt die rechtliche Grundlage, die alle Bereiche und Funktionen des Kölner Meldesystems auf sichere rechtliche Füße stellt. Zwar hat man in Köln darauf geachtet, dass die Datenbank höchsten datenschutzrechtlichen Anforderungen standhält, doch will man in der Domstadt mehr: Man möchte auch die Grauzonen der bestehenden Regelungen rechtssicher ausbauen.

Dass in Sachen Sicherheit und Mitarbeiterschutz noch viel verbesserungswürdig ist, machten die Mitglieder der dbb jugend nrw im zweiten Teil der Sicherheitskonferenz deutlich, in dem sich ihnen die Gelegenheit bot, aus ihren Ar­beits­be­reichen zu berichten.

Ein solches Meldesystem flächendeckend zum Einsatz zu bringen, wäre eine tolle und auf die Sicherheitssteigerung der Mitarbeiter gerichtete Verbesserung.

Susanne AumannVorsitzende der dbb jugend nrw

„Es geht manchmal mehr um den Bürger als um den Beschäftigten“

Bekannt ist, dass vor allem Rettungssanitäter bei ihren Einsätzen angegangen werden. Das berichtete auch ein Mitglied der dbb jugend nrw. Die ernüchternde Feststellung folgte jedoch auf den Fuß: „Im Krankenhaus hat man nicht die Möglichkeit, Personen des Hauses zu verweisen.“ Der Grund: Kliniken haben einen medizinischen Versorgungsauftrag. Dort geht es um das Wohl der Patienten. „Bei Vorkommnissen geht es in der Regel darum, wie es dem Patienten geht. Was mit dem betroffenen Personal ist, wird oft totgeschwiegen“, so der Bericht aus den Mitgliederreihen.

Aus dem Bereich der Justiz wurde deutlich, wie weit man mancherorts von einem datenbankbasierten Meldesystem entfernt ist. Allenfalls gäbe es vereinzelt die Erfassung auf Papier, „auf das dann keiner mehr guckt“, so das Mitglied. Schon in der Ausbildung werde jungen Menschen in diesem Bereich oftmals vermittelt, dass Übergriffe zum Beruf gehören und damit gewissermaßen hingenommen werden müssten. Im Bereich des Justizvollzugs werden Vorfälle nur dann gemeldet, wenn sie mindestens einen Tag Arbeitsunfähigkeit nach sich ziehen. Beleidigungen auch unterhalb der Gürtellinie gehörten zur Tagesordnung.

Zunahme von Hassmails und -postings

Aus kommunalen Verwaltungsbereichen wird berichtet, dass mit der Abnahme des Publikumsverkehrs die An­fein­dungen per Mail zugenommen haben. Doch wird bemängelt, dass nach Anzeige bei der Polizei in der Regel nichts mehr geschehe. „Ich würde mir ein Konzept wie in Köln wünschen“, sagt die junge Frau.

Um Erfahrungen wie die rund um das Kölner Meldesystem und andere Ansätze landesweit zu erfassen, hat das Landes­kabinett in NRW jüngst beschlossen, die Initiative „Mehr Schutz und Sicherheit von Beschäftigten im öffentlichen Dienst“ ins Leben zu rufen, in der die dbb jugend nrw aktiv mitarbeitet. „Es ist wirklich toll zu sehen, mit welchem Tempo das Anliegen dort vorangetrieben wird“, sagt Aumann. Den Mitgliedern der Sicherheitskonferenz stellte sie die Ziele dieser Initiative vor.

Was eine neu gegründete Landesinitiative erreichen will

Dazu gehört das Gründen eines landesweiten Netzwerks, das Initiativen, Kampagnen und Projekte zusammenzuführt und miteinander verzahnt. Daneben arbeitet eine Expertengruppe an einem ressortübergreifenden Präventionsleitfaden. Ein weiteres Anliegen ist zudem das Einbinden der Forschung, um das Thema wissenschaftlich zu begleiten.

Eine Idee aus der Runde der Teilnehmenden der Sicherheitskonferenz: Wie weit strahlt die Sorge vor Übergriffen ins Privatleben und führt dazu, sich in seinen Möglichkeiten einzuschränken – zum Teil vielleicht auch ohne dies zu bemerken? Ein Beispiel: Manch Beschäftigte im Öffentlichen Dienst führen keinen Social Media-Account aus Sorge, dort aus beruflichem Kontext kontaktiert und ausfindig gemacht zu werden. Andere tragen keine Namensschilder, um sich im Privaten noch sicher fühlen zu können.

„Wir werden diese und viele andere Erlebnisberichte und Anmerkungen in die politischen Diskussionen tragen“, kün­digte Aumann an. „Sie bestärken uns darin, noch mehr in Sachen Sicherheit für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst zu erreichen. Unsere Arbeit geht weiter.“

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