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Silvesterattacken – wer schützt die Retter?

Gewalt gegen Beschäftigte
7. Januar 2023

Nach den Silvester-Übergriffen auf Einsatzkräfte in Berlin, Hamburg, aber auch Städten in NRW hängt immer noch Fassungslosigkeit in der Luft. Allein in NRW hat die Polizei 42 Verletzte zu beklagen. In Berlin wurden 38 Übergriffe nur auf Feuerwehrleute gezählt. Mit dem bloßen Verurteilen solcher Taten ist es nicht getan, findet die dbb jugend nrw.

„Schreckschusspistole ins Gesicht gehalten“, „Bierkiste und Feuerlöscher auf Fahrzeuge geworfen“ oder „gezielter Beschuss mit Pyrotechnik“ listen die Einsatzprotokolle der Berliner Feuerwehr auf. Barrikaden, Plünderungen der Einsatzfahrzeuge, Zusammentreffen mit Vermummten und Beschädigung von Fahrzeugen sahen sich die Retter dort und ebenso in NRW gegenüber. Auch in Essen, Hagen oder Bochum wurden Retter zu Opfern. In Bochum wurden Polizisten von rund 300 Personen eingekesselt und mit Feuerwerk beworfen. Zahlreiche Einsatzkräfte mussten auch in NRW in der Silvesternacht stationär behandelt werden.

Nüchtern betrachtet machen diese Ereignisse nicht nur die Betroffenen fassungslos, sondern auch die meisten Bürger, ganze Berufsgruppen, Gewerkschaften sowie die Politik. „Die Aggressivität hat eine neue Dimension erreicht“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul.

Diese Taten werden von einzelnen angezettelt, sind aber Teil eines gesellschaftlichen Problems.

Judith Butschkau1. Stellv. Vorsitzende dbb jugend nrw

Es habe zwar schon immer Auseinandersetzungen zu solchen Ereignissen gegeben, aber diesmal sei mit Böllern nicht in die Luft geschossen worden, sondern auf Menschen, sagt Reul weiter. Als dramatisch stuft er ein, dass Silvesterböller als Waffe eingesetzt würden und billigend in Kauf genommen werde, dass andere gesundheitlichen Schaden davontragen.

„Auch wenn diese Taten von einzelnen angezettelt und dann oftmals erst von ganzen Gruppen aufgenommen wurden, sind sie Zeichen eines gesellschaftlichen Problems“, bringt es Judith Butschkau, 1. Stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw) auf den Punkt. Übergriffe wie in der Silvesternacht treffen zwar einzelne Personen, richtet sich jedoch in der Regel nicht gegen sie, sondern symbolisch gegen den Staat.

Übergriffe sind eine Art „Sport gegen staatliche Vertreter“

Es scheine sich so etwas wie ein Ritus entwickelt zu haben – „eine Art Sport gegen staatliche Vertreter“, erklärt Sozialpsychologe an der Uni Marburg, Ulrich Wagner, in den Medien. Abhängig von der allgemeinen Situation könne sich unter Alkoholeinfluss eine Stimmung zwischen Heiterkeit und Aggression in einer Mischung aus „Attacke und Scherz“ entladen – die Silvester unter anderem gegen Rettungskräfte gerichtet war.

Schon seit mehreren Jahren beobachtet die dbb jugend nrw die zunehmende Aggression gegen Einsatzkräfte wie auch andere Berufsgruppen des Öffentlichen Dienstes und macht sich darum dafür stark, mehr Sicherheit für die Beschäftigten zu erreichen. Ebenso wichtig sei jedoch, auch in der Öffentlichkeit ein klares Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. „Mit dem bloßen Verurteilen solcher Taten ist es nicht getan“, sagt Butschkau.

Tätern droht Strafmaß von bis zu zehn Jahren Haft

Als wichtigen Schritt bewertet die stellvertretende Vorsitzende beispielsweise den politischen Vorstoß, Übergriffe auf Einsatzkräfte wie generell auf Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes konsequent und scharf zu sanktionieren. Ein Beispiel: Bei gefährlicher Körperverletzung steht ein Strafmaß von bis zu zehn Jahren Haft zu Verfügung, erklärt Ulrich Lüblinghoff, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes in Zusammenhang mit den Silvester-Übergriffen im WDR.

Zwar ist es Anliegen, solche Straftaten zeitnah zu sanktionieren, doch scheitert dies unter anderem an der personellen Ausstattung von Polizei und Justiz. Es herrscht Fachkräftemangel – auch an und nach Silvester, äußert die stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend nrw.

Mehr Berührungspunkte schaffen

Solche Maßnahmen reichen jedoch nach Auffassung des gewerkschaftlichen Jugenddachverbandes nicht aus, um die Retter bei ihrer Arbeit zu schützen. „Wir dürfen mit dem öffentlichen Diskurs nicht aufhören“, sagt Butschkau. Oft wüssten vor allem junge Menschen wenig über die Arbeit und die Erschwernisse in Berufen wie bei der Feuerwehr, Polizei oder im Rettungswesen.

Aktionstage, wie sie beispielsweise von Berufsgruppen wie Polizei oder Feuerwehr in Schulen durchgeführt würden, seien eine Möglichkeit dazu. „Wir brauchen mehr Berührungspunkte, damit die Arbeit der Menschen in diesen Berufen und anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes wieder als Dienst für die Allgemeinheit und jeden einzelnen Bürger wahrgenommen wird“, so Butschkau. Fernab von hohen Strafen gehe es im Kern um einen respektvollen Umgang miteinander. „Nur der schützt Retter – er schützt jeden.“

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