Stellenzuwachs und trotzdem Personalengpass – wie kann das sein?
Auflösung eines Widerspruchs
Die Beschäftigungszahlen im Öffentlichen Dienst nehmen immer weiter zu – so haben erneut Wirtschaftsforscher herausgefunden. Zeitgleich leiden die öffentlichen Verwaltungen jedoch unter eklatantem Fachkräftemangel, der sich Analysten zufolge in den nächsten Jahren weiter zuspitzen wird. Ein Widerspruch – der sich jedoch erklären lässt.
Eine Studie jagt die nächste – Wirtschaftsforscher belegen in schwindelerregenden Zahlen den Anstieg des Personals im Öffentlichen Dienst. Erst Anfang des Jahres war es das Institut der Deutschen Wirtschaft, nun bringt das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo) Zahlen auf den Tisch. 4,56 Millionen Menschen sind – Stand 2022 – im Öffentlichen Dienst beschäftigt. Das entspricht laut der Studie 62 Beschäftigten pro 1.000 Einwohnern. Noch 2008 habe die Zahl bei 55 Beschäftigten pro 1.000 Einwohnern gelegen. Ein Anstieg also.
Besonders gravierend, so halten die Studienautoren fest, sei das Wachstum in den Kommunen (rund 20 Prozent) und dort vor allem in den Bereichen der Inneren Verwaltung und im Bereich Soziales und Jugend. Eine Reaktion auf das Wachsen der Gesamtbevölkerung könne dies nicht sein, hält die ifo-Studie fest, denn die Gesamtbevölkerung sei im Untersuchungszeitraum nur um 2 Prozent gewachsen.
„Stellen“ und „Personal“ sind zweierlei
„Das hört sich oberflächlich betrachtet widersprüchlich an, denn wir beklagen als Gewerkschaften seit Jahren einen wachsenden Personalmangel“, sagt Susanne Aumann, Vorsitzende der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw). Eine Diskrepanz liege häufig zwischen der Vermengung der Begriffe „Stellen“ und „Personal“.
”Wir müssen Querschnittsaufgaben zentralisieren, um Personal bei knappen Ressourcen besser einsetzen zu können
Susanne AumannVorsitzende dbb jugend nrw
Schaut man auf den Stellenanteil, mag dieser zwar gewachsen sein, diese Zahlen auf Papier geben aber keine Auskunft darüber, ob diese Stellen auch tatsächlich mit Personal besetzt seien, sagt Nicole Schorn, erste stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend nrw. „Oftmals handelt es sich bei Stellen um Leerstellen, die unbesetzt sind und auch dauerhaft unbesetzt bleiben, weil nicht genügend Nachwuchs zu finden ist“, sagt Schorn. Es herrscht Fachkräftemangel – das Ringen um geeignetes Personal macht auch vor den sehr spezialisierten Stellen im Öffentlichen Dienst nicht Halt.
Tatsächlich sind zudem in den letzten Jahren viele neue Aufgaben auf den Öffentlichen Dienst zugekommen. Vor allem die Kommunen seien betroffen, ordnet Schorn ein. Das deckt sich mit den Zahlen, die auch das ifo liefert. Der Personalzuwachs ist bei den Kommunen demnach am höchsten. Zu tun habe das mit neuen Gesetzen und der daran anschließenden Umsetzung. Zwei aktuelle Beispiele sind das Wohngeld und das Cannabisgesetz. Bei der Legalisierung von Cannabis seien vor allem kontrollierende Ordnungsbehörden notwendig, auch fallen neue Zuständigkeiten bei der Bezirksregierung an, erläutert Schorn.
Politische Entscheidungen führen zu neuen Aufgaben
„Wenn das ifo davon spricht, dass ‚nach drei Jahrzehnten Verwaltungsmodernisierung die Verwaltungen aufgeblähter und komplexer sind als je zuvor‘ ist das nicht ganz richtig“, sagt Schorn. Letztlich sei die Notwendigkeit zur Schaffung neuer Stellen auf politische Entscheidungen zurückzuführen: Denn neue Aufgaben benötigen Menschen, die sie wahrnehmen.
Beispiel Kita: Die Zahl der Stellengesuche hat auch in diesem Bereich in den letzten Jahren zugenommen. Laut Bildungsbericht 2022 hat sich dort die Zahl der Fachkräfte um 200.000 bundesweit erhöht. Dies jedoch war nach der gesetzlichen Zusicherung auf einen Kitaplatz wie auch die Aufnahme unter 3-Jähriger eine Notwendigkeit. „Dennoch stehen wir hier einem massiven Fachkräftemangel gegenüber“, sagt Schorn. Lange nicht alle Stellen, die vakant sind, können besetzt werden. „Wir haben hier zudem ein gutes Beispiel dafür, dass auf dem Papier zwar Stellen da sind, dies aber nicht die tatsächliche Beschäftigtenzahl wiedergibt“, sagt Schorn.
Digitalisierung würde Entlastung schaffen
Manche Einstellungen erfolgen auch, weil es die gesellschaftliche Entwicklung notwendig macht“, betont Aumann. Man sehe das sowohl im Bildungsbereich, bei den Lehrkräften wie auch der Polizei. Dem gegenüber steht nach Einschätzung Schorns, dass in Anbetracht einer schwierigen Haushaltslage das Personalbudget nicht adäquat angepasst werde und zudem flankierende Maßnahmen wie beispielsweise das Vorantreiben der Digitalisierung, die letztlich auch personalentlastend wäre, auf Eis liegen.
Darüber hinaus ergänzt Schorn zum oft genannten Vorwurf Verwaltung verwalte sich zunehmend selbst: „Wir müssen Querschnittsaufgaben zentralisieren. Nur so können wir Personal bei knappen Ressourcen besser einsetzen.“ Helfen könne neben einer konsequenten Digitalisierung auch der Einsatz von KI. „In manchen Kommunen werden bereits Chatbots für Beratungsleistungen eingesetzt“, gibt Aumann ein Beispiel. Hier plädiert die dbb jugend nrw dafür, behördenübergreifend zu denken und nicht diverse Insellösungen und Pilotprojekte zu schaffen, durch die hier und da unkoordiniert jeder vor sich herumexperimentiere.
Um den durch Fachkräftemangel und wachsende Aufgaben entstehenden Herausforderungen etwas entgegenstellen zu können sei es dringend notwendig, dass alle Ebenen vernetzt an den Problemen arbeiten. „Sonst laufen wir Gefahr als Staat noch mehr Vertrauen zu verlieren“, sagt Aumann.