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Warum es wichtig ist, die Nase in den Wind zu halten

Verbandsleben
27. Januar 2023

Wanderstammtisch gestartet

Durch die gerade angehenden Laternen schimmerten die bunt besprühten Hauswände. In der Abenddämmerung startete die dbb jugend nrw ihre erste Tour des Wanderstammtisches. Eine ganz besondere Atmosphäre, die die jungen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst trotz eisiger Kälte auf dieser ganz besonderen Straße in Düsseldorf zu verspüren bekamen. Doch hinter den von Künstlerinnen und Künstlern der Street Art Szene besprühten Hauswänden der Kiefernstraße steckt viel mehr als Kunst.

Die Geschichte der Kiefernstraße

Hier befindet sich Wohnraum, der einen anderen Standard hat, als im restlichen Düsseldorf zu finden ist. So befindet sich manche Toilette noch auf dem Gang und in einigen Häusern wird bis heute mit Kohle geheizt. Zudem kommen hier Menschen aus über 40 Nationen zusammen, die sich größtenteils am unteren Ende der Einkommensschicht befinden. Die Mieten sind hier deutlich geringer als nur wenige hundert Meter weiter. Diese Form der Wohnstruktur hat einen Grund, denn sie ist Teil einer längeren historischen Vergangenheit.

Ende der 70er Jahre plante die Stadt, auf der Kiefernstraße ein Gewerbegebiet zu bauen und die Menschen auf der Kiefernstraße aus ihren Wohnungen zu bekommen. Daraufhin wurden in den 1980er Jahren die dort leerstehenden Häuser von Hausbesetzenden in Beschlag genommen und so den Eigentümerinnen und Eigentümern weggenommen. Die Aktivistinnen und Aktivisten setzten die Wohnungen wieder instand und bewohnten sie. Dies wurde jedoch nicht einfach hingenommen und es ergab sich eine angespannte Situation aus wechselnden Räumungen und Wiederbesetzungen. Nach Verhandlungen mit der Düsseldorfer Initiative „Aktion Wohnungsnot e.V.“ entschied sich der damalige Oberbürgermeister unter großem Druck dazu, die Besetzungen durch Nutzungsverträge zu legalisieren. Dadurch konnten einige Menschen dort offiziell wohnen. Dies galt jedoch nur für bestimmte Häuser auf der Straßenseite mit ungeraden Hausnummern. Diese Häuser waren zu dem Zeitpunkt bereits völlig heruntergekommen. Zudem reichte der Platz nicht für die Menge an Menschen aus.

Beim ersten Wanderstammtisch der dbb jugend nrw stand ein Besuch der Düsseldorfer Kiefernstraße auf dem Programm

Forderungen stellen und sich gemeinsam für etwas einsetzen

Die Nase in den Wind halten, das sei hier immer wichtig gewesen, berichtet Kaspar den 11 Teilnehmenden. Kaspar stammt von „FlingerPfad“ und übernahm die Führung für den ersten Wanderstammtisch der dbb jugend nrw. Er hat hier selbst einige Jahre gewohnt und hat vieles aus seinen Erzählungen als Zeitzeuge mitbekommen. Es sei hierfür gut, in wichtigen Momenten Stimmungen einzufangen, etwas zu wagen, sich einzumischen, nicht alles hinzunehmen und dabei auch mal „frech“ zu sein. Darum war es relevant, die Gespräche mit der Stadt aufrecht zu erhalten – trotz unterschiedlicher Zielvorstellungen. Das Gefühl, nicht alles hinnehmen zu wollen und auch mal unangenehm zu werden, das verstehen die jungen Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftler gut.

Hinter den Häuserfronten und Gärten der Kiefernstraße befinden sich ein paar Bauwagen. Hier leben einige Familien bewusst einen etwas anderen Lebensstil, der nachhaltiger und reduzierter ist. Eine Seltenheit in einer Stadt, in der die Mietpreise immer weiter steigen, Wohnviertel immer exklusiver werden und sich Menschen mit wenig Vermögen oder Einkommen nicht mehr viel leisten können. Es geht hierbei um mehr als nur um Hausbesetzung, sondern um soziale Städteplanung und den Fragen nach dem Grundbedürfnis „Wohnen“ und anderen Formen von „Gemeinschaften“.

Mitbestimmung in der Stadtgestaltung

Nach dem gemeinsamen Rundgang kehrten die jungen Gewerkschafter/innen in die Kiefernstraße 35 ein. Durch die Berichte der „Planwerkstatt 387“ erfuhren die Teilnehmenden viel über die Prozesse, Bürgerinnen und Bürger im Stadtgeschehen zu beteiligen. Denn die an die Kiefernstraße mittlerweile freie angrenzende Fläche ist unter privater Hand. Für 60 Millionen Euro wurde diese Fläche an einen Projektentwickler verkauft und sollte mit Hotels und teuren Mikroappartements bebaut werden. Die Planwerkstatt ermöglichte durch Demonstrationen, Flugblätter, Plakaten und Räumen für Diskussionen eine Mitbestimmung und Rückeroberung des städtischen Raums. Die Pläne wurden durch die Beteiligung der Menschen verändert. Denn Stadtgestaltung sollte nicht nur Sache der Investorinnen und Investoren sein, sondern die der Menschen, die dort wohnen und leben. Hieran wurde wieder deutlich, dass es gut ist, die „Nase in den Wind zu halten“ und als engagierte Gemeinschaft etwas zu bewegen. Das kam den Teilnehmenden bekannt vor, denn auch sie wissen, dass man als Gemeinschaft viel erreichen kann.

Besonders spannend wurde es dann, aus der Perspektive der Teilnehmenden darüber zu diskutieren, was für eine solche Form der Städteentwicklung und Städteplanung im Öffentlichen Dienst gebraucht wird. Beim Blick in die Ämter spielt häufig eine Rolle, dass es zu wenig Fachkräfte gibt und es daher nicht immer einfach ist, Formen wie diese zu begleiten. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Vereinen wie der Planwerkstatt und den Kommunen wäre daher für beide Seiten bei solchen Prozessen und Projekten wünschenswert. Doch dafür fehlen meist die Ressourcen. Trotzdem hat das Miteinander, darüber ins Gespräch zu kommen, auf beiden Seiten etwas verändert.

Vernetzung beim Altbier-Abschluss

Der Austausch über die verschiedenen Perspektiven der eigenen Lebens- und Berufswelt ermöglichten spannendende Diskussionen. Diese wurde bei einem Düsseldorfer Altbier unweit der Kiefernstraße im 5P anschließend fortgeführt. Hier konnten sich die Anwesenden auch nochmal gegenseitig über ihre Gewerkschaftsarbeit austauschen, sich untereinander vernetzen und Gedanken des Abends vertiefen. Ein Besuch im 5P lohnt sich im Übrigen auch, um die kunstvoll gestaltenden Wände zu betrachten und etwas vom Lebensgefühl Flingern-Süds mitzubekommen.

Die dbb jugend nrw freut sich schon darauf, wenn die zweite Runde des Wanderstammtisches zusammenkommt. Der erste war für alle ein voller Erfolg! Daher folgt uns weiterhin und bleibt aktuell.

Wenn ihr außerdem neugierig geworden seid und noch mehr über die historische Entwicklung dieser Straße erfahren möchtet, besucht doch gerne eine von Kaspars Führungen. Im Netz findet ihr auch nähere Infos zur Arbeit der Planwerkstatt.

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