Skip to main content

Wie die Zahl an Corona-Burnouts im Öffentlichen Dienst steigt

Öffentlicher Dienst
3. Dezember 2021

In vielen Bereichen des Öffentlichen Dienstes hat die Pandemie die Anforderungsmesslatte für die Beschäftigten extrem hoch gelegt. Im Bemühen, immer für Lösungen zu sorgen, geht das nicht spurlos an allen vorüber. Das Risiko für Burn­out ist gestiegen. Das zeigt sich auch in der hohen Zahl an Therapienachfragen in einer psychosomatischen Klinik, die auf Berufe des Öffentlichen Dienstes spezialisiert ist.

Anhaltende Arbeitslast in den Gesundheitsämtern, durch die Pandemie bedingter Mehraufwand für die Lehrkräfte, Berge von Arbeit für die Beschäftigten der Finanzverwaltung – in vielen Bereichen des Öffentlichen Dienstes ist der Arbeitsdruck in der Pandemie gestiegen. Bei vielen Mitarbeiter/innen ist der Einsatzwille trotzdem hoch – bei manchen zu hoch. Sie bemerken nicht, wie sie sich zu viel zumuten – und in den Burnout steuern. Wir haben mit Sven Steffes-Holländer ge­sprochen, Psychotherapeut und Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin. Seine Klinik ist unter anderem spezialisierte Anlaufstelle für öffentlich Beschäftigte, die Hilfe suchen.

Frage: Ist die Zahl der Burnouts unter Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes mit der Pandemie angestiegen?

Steffes-Holländer: Eine Burnout-Welle ist wahrscheinlich kaum aufzuhalten. Seit Beginn der Pandemie beobachten wir, dass unglaublich viele Menschen in einer ständigen Angst und Anspannung leben. Gerade im Öffentlichen Dienst, wo hohe Anforderungen an die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Beschäftigte gestellt werden, sorgt das für ständige Anspannung und inneren Druck.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat im März 2021 über 30.000 Lehrkräfte zu den Folgen der Corona-Pandemie befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Corona-Pandemie die Lebenswelt Schule und den Berufs­alltag von Lehrkräften grundlegend verändert hat. Vor allem im organisatorischen Bereich sind dadurch neue Belastungen aufgetreten. Insgesamt waren und sind Lehrerinnen und Lehrer durch die Pandemie hoch belastet. Über 68 Prozent der Lehrkräfte gaben an, dass Veränderungen in schulorganisatorischen Prozessen hoch belastend waren. 75 Prozent empfanden Probleme bei der Umsetzung des Bildungsauftrags hoch belastend.

Dies ist nur ein Beispiel, auch in der öffentlichen Verwaltung zeigen sich ähnliche Phänomene, jedoch gibt es noch keine größeren Studien. In unseren Kliniken liegen die Anfragen für eine stationäre Behandlung schon jetzt 50 Prozent über dem Vorjahr.

 

Dr. Sven Steffes-Holländer im Gespräch mit der dbb jugend nrw – hier auf dem 20. Landesjugendtag

Worauf ist das aus Ihrer Sicht möglicherweise zurückzuführen?

Die Krise potenziert und triggert Problemstellungen, die auch schon vorher existent waren. Die Menschen haben Angst – vor der Krankheit, vor dem Verlust von lieben Men­schen, vor vermehrter Arbeitsbelastung durch einen hohen Krankenstand. Gleichzeitig prasseln neue An­for­de­rungen auf jeden von uns ein – wie Homeoffice, Homeschooling, neue Regeln, Arbeitsanweisungen, Ge­setze und Verbote, die wir persönlich befolgen und in den Behörden umsetzen sollen. Jeder will sich möglichst vernünftig verhalten, ist aber auch ver­un­sichert: Was ist denn überhaupt vernünftig? Für die Psyche besteht ein Dauerstress. Eine permanente Anspannung, die von der ständigen Informationsflut noch weiter befeuert wird. Ein Teil der Beschäftigten kann das gut kompensieren, aber viele sind damit gänzlich überfordert.

Was berichten Betroffene?

Es gibt einerseits Betroffene, die berichten, dass im Lockdown verstärkt Ängste geschürt wurden. Ob im Homeoffice der Stresspegel sinkt oder steigt hängt sehr stark von den individuellen Gegebenheiten ab. Gerade die unklare zeitlich Per­spek­tive belastet viele. Wann gibt es wieder mehr Normalität? Wie gestaltet sich unsere sog. „neue Normalität“ im Leben mit dem Virus? Es ist mittlerweile eine Fortsetzungsgeschichte aus Hoffen, Warten und enttäuscht werden. Geht der Stress mit Überlastung und Überforderung einher, ist die Schere zwischen Anforderungen und Möglichkeiten dauer­haft zu groß, wird aus einer ständigen Überforderung und fehlenden Erfolgserlebnissen schnell ein Gefühl der Ohnmacht.

Ist zu erwarten, dass die Zahl mit der Dauer der Pandemie noch weiter steigt?

Die Gefahr nimmt zu, was sich auch leicht begründen lässt, wenn man Burnout definiert. Laut dem Psychoanalytiker Herbert Freudenberger, der 1974 den ersten wissenschaftlichen Artikel über das Burnout-Syndrom verfasste, ist es eine „individuelle Reaktion auf andauernde beziehungsweise wiederholte emotionale Belastung“. Kurz gefasst: Aus an­hal­tend viel Stress und körperlichen Begleiterscheinungen resultiert über kurz oder lang ein Burnout.

Der Gesundheitsreport 2021 der Techniker Krankenkasse fragte in einer repräsentativen Forsa-Umfrage danach, wie es Deutschlands Beschäftigten geht. Demnach fühlen sich 42 Prozent der Menschen im März dieses Jahres – also in der Hochphase des zweiten Lockdowns – stark oder sehr stark von der Corona-Situation belastet. Bei den befragten Be­rufs­tätigen insgesamt nahmen Stress am Arbeitsplatz sowie emotionale Erschöpfung zu. Am meisten gefährdet waren Frauen mit Kindern, die im Homeoffice arbeiteten und zugleich ihre Kinder betreuen oder beschulen mussten. Der stärkste Treiber emotionaler Erschöpfung ist der subjektiv erlebte Konflikt zwischen Arbeit und Privatem.

Warum können manche Menschen mit stressigen Zeiten und psychischen Belastungen besser umgehen als andere?

Es gibt Menschen, die resilient sind, also eine gewisse Widerstandsfähigkeit besitzen. Sie haben oft schon früh gelernt, sich selbst zu vertrauen, zu handeln, optimistisch zu sein und zu glauben, dass sie Wege finden werden im Leben. Andere haben sich diese Fähigkeit angeeignet, indem sie selber durch schwere Krisen gegangen sind, daran als Per­sön­lichkeit gewachsen sind. Das gibt ihnen auch jetzt Hoffnung und Kraft, diese Pandemie und die gestiegenen Belastungen zu meistern. Sich beispielsweise in der Krise selbst regulieren zu können, umfasst die Fähigkeit, eigene innere Zustände – also hauptsächlich Gefühle und Spannungszustände – aufrechtzuerhalten und deren Intensität und Dauer selbstständig zu beeinflussen und damit auch die begleitenden physiologischen Prozesse und Verhaltensweisen zu regulieren. Dazu gehört beispielsweise das Wissen, welche Strategien zur Selbstberuhigung und welche Hand­lungs­alternativen es gibt, und welche wirkungsvoll sein können.

Wie kann man in diesen Zeiten einem Corona-Burnout entgegenwirken?

Generell ist es so: Je hilfloser und ohnmächtiger ich mich fühle, desto größer ist die Gefahr eines seelischen Absturzes. Darum kann ich im ersten Schritt versuchen, mich mit meinen Ängsten realistisch auseinanderzusetzen und die ein­zel­nen Aspekte zu differenzieren. Das reduziert oft den Stress und ist ein erster wichtiger Schritt zur Lösung der Ängste. Denn das heißt zugleich Anerkennung ihrer Existenz. Und aus der Beschäftigung entsteht wieder Schritt für Schritt mehr Handlungsfähigkeit.

Ganz wichtig ist die soziale Unterstützung. Wir brauchen unsere Freunde, die Familie, die Kollegen, weil sie uns emo­tionale Unterstützung geben, uns regulieren und uns auffangen. Auch mit körperlichem Abstand ist „Social Support“ enorm wichtig. Soziale Bindungen sind ganz ent­scheidend, um gesund zu bleiben und fähig zu sein, mit Krisen umzugehen. Das Erste, was man tun sollte, ist also, überhaupt miteinander zu reden.

In unseren Kliniken unterstützen wir Betroffene bei der Sta­bi­lisierung und Regeneration, der Angstbewältigung, erarbeiten gemeinsam funktionale Lösungs- und Bewäl­ti­gungs­strategien, stärken Ressourcen und fördern ihre Resilienz.

Die fortwährende Corona-Krise führt bei vielen Menschen zu Dauerstress – bis hin zum Burnout

Die Menschen sind noch dünnhäutiger geworden durch COVID-19.

Boris NovakDPolG Berlin

Bei welchen Anzeichen sollte man Hilfe suchen?

Die Ursachen für einen Burnout können sehr unterschiedlich sein. In Hinblick auf die Bekämpfung der Pandemie können wir davon ausgehen, dass viele Menschen zunehmend ein Gefühl von Überforderung und Ungewissheit plagt. Frühe Anzeichen sind etwa eine hohe Angespanntheit, auch Überaktivität im Versuch, die Belastung zu unterdrücken, den Anforderungen zu genügen. Menschen sind dann oft gereizt und aggressiver, weil sie eigentlich schon wissen, dass sie völlig überlastet sind und „der Druck sich ein Ventil sucht“.

Symptome und Anzeichen bei Burnout können sehr vielfältig sein, meist können drei Beschwerdebereiche eingegrenzt werden: Betroffene leiden sowohl an emotionalen als auch an körperlichen Beschwerden wie ständiger Müdigkeit, Erschöpfung und Niedergeschlagenheit sowie Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Problemen. Sie können sich pa­ra­doxer­weise innerlich unruhig und zugleich erschöpft zeigen. Menschen, bei denen sich ein Burnout entwickelt, em­pfinden ihre Arbeit über einen längeren Zeitraum hinweg zunehmend als Belastung und bekommen eine zunehmend negative, teilweise sogar zynische Einstellung gegenüber ihren Aufgaben sowie Kollegen und Vorgesetzten. Ein Entfremdungsprozess beginnt. Burnout-Patienten erleben sowohl berufliche als auch private Tätigkeiten zunehmend als Belastung. Selbst der Haushalt sorgt für Überforderung und Frust, der sich auf unterschiedliche Weise bemerkbar macht, die Leistungsfähigkeit nimmt deutlich ab. Dieser psychische Stress macht sich nicht nur geistig, sondern auch physisch bemerkbar, wie z.B. durch Magen-Darm-Beschwerden und chronische Kopfschmerzen.

Mehr dazu

© 2024 dbb jugend nrw