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Unterführung

Düstere Aussichten für „Generation Corona“

Jugendpolitik
2. Februar 2022

Jeder Zehnte in Deutschland ist zwischen 15 und 24 Jahre alt. Auf diese jungen Menschen schauen Zukunftsforscher mit Sorge. Denn sie trifft die Pandemie in einer Zeit wichtiger Entwicklungsbereiche: dem Erwachsenwerden, der Part­ner­suche und der Berufswahl. Was werden die Folgen für diese Generation sein?

Die Lage ist bedrückend: Die Pandemie dauert fort. Besonders hart und mit noch nicht abschätzbarem Maß trifft sie die Jugend­lichen und jungen Erwachsenen, von den Jugendforschern kurz auch „Generation C“ genannt: Generation Corona.

Strichlisten nicht gemachter Erfahrungen

Kein Fußballtraining, kaum Freunde treffen, kein Jugendcamp, kein Auslandsjahr, keine Party zum 18. Geburtstag, keine durchfeierten Nächte im Club, kein Praktikum, keine Schulabschlussfeier – die Liste der gestrichenen Erlebnisse und Erfahrungen ist lang. Statt die Welt zu erkunden, Menschen kennenzulernen, sich eigene Positionen zu bilden und sich vom Elternhaus abzunabeln, machen junge Menschen in der Pandemie genau gegenteilige Erfahrungen: Sie sitzen viel zu Hause, beschäftigen sich mit dem Smartphone und sind statt sozial eher digital miteinander verbunden.

„Die Generation Corona ist traurig, einsam, voller Sorgen“, so das Ergebnis einer repräsentativen Krankenkassen-Um­frage. Das bereitet Psychologen ebenso Kopfzerbrechen wie auch Pädagogen, Medizinern oder Zukunftsforschern. Und es wird wahrscheinlich noch weitere Kreise ziehen, ist sich Jugendforscher Klaus Hurrelmann sicher. Auch für Arbeit­geber wird die Generation C ein Thema werden.

Generation Greta kommt durch, Generation Corona fehlt Unterstützung

„Die Pandemie hat wie ein Katalysator gewirkt und schon vorhandene Ungleichheiten weiter verstärkt. Das sieht man im Leistungsbereich ganz eindeutig“, sagt Hurrelmann. Wer vor Corona Schwierigkeiten in der Schule hatte, der hat sie während Corona deutlich stärker. Die Kluft geht entlang der bekannten Linien soziale Herkunft, Geschlecht und in Abhängigkeit von Elternhäusern, in denen es Probleme gibt, die eigenen Kinder zu unterstützen. Für sie hat die Schließung von Schulen und Bildungseinrichtungen über eine lange Zeit sowie der fehlende Kontakt zu unterstützenden Anlauf­stellen besonders starke Auswirkungen. „Man merkt, dass diese stark benachteiligten Kinder und Jugend­lichen sehr stark auf diese Einrichtungen angewiesen sind“, sagt Hurrelmann. Vor allem Jungen und junge Männer sind benachteiligt, zeigt sich in den Studien der Jugendforscher.

Die Generation Corona tritt gesellschaftlich neben der sogenannten „Generation Greta“ deutlich in Erscheinung. Zwar hat die Generation Greta, die grundsätzlich aus sehr gebildeten, stabilen und privilegierten Elternhäusern kommt und weiblich dominiert ist, durch die Pandemie wenig Gelegenheit, ihr Zukunftsanliegen öffentlich zu verfolgen. Doch machen sich die Wissenschaftler um diese Gruppe deutlich weniger Gedanken. Sie werden, so schätzt auch Hurrel­mann es ein, besser durch die Pandemiezeit kommen, weil sie im persönlichen Umfeld hinreichend Unter­stützung finden.

Anders hingegen die jungen Menschen der Generation Corona. Ihren Anteil schätzt die Forschung auf rund 30 Prozent aller Jugendlichen. „Sie kommen schlecht durch diese Zeit, sind ohnehin benachteiligt und in problematischen Situa­tionen“, sagt Hurrelmann.

Einbußen in Qualifikation und Bildung

In allen typischen Bereichen des Kindes- und Jugendalters hat die Pandemie Bedingungen hergestellt, die es den Jugendlichen ganz schwer machen, ihren Entwicklungsprozessen nachzukommen. Strukturell war es praktisch nicht möglich, typisch jugendlich zu leben. Das hat Auswirkungen: „Die Jugendlichen konnten zentrale Entwicklungsaufgaben nicht bewältigen“, sagt der renommierte Jugendforscher. Insbesondere in den Bereichen Bildung und Qualifikation seien sie sehr stark eingebrochen. Die gilt vor allem für diejenigen, die während der letzten zwei Jahre auf gut struktu­rierte Bildungslinien außerhalb des Elternhauses angewiesen waren.

Zu den großen Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter zählt aber auch, soziale Kontakte aufzubauen, Beziehung zu entwickeln und sich von den Eltern abzulösen. Auch hier erschwert die Pandemie die normale Ent­wicklung. Kinder und Jugendliche konnten aus Sicht Hurrelmanns in dieser Zeit keine Kontakte entwickeln, keine neuen Beziehungen aufbauen und sich nicht von den Eltern ablösen. Schwierig war ebenfalls, eine eigene Werte­orientierung aufzubauen, soziales Engagement oder politische Betätigung zu zeigen. „Auch hier gibt es durch die Pandemie sehr starke Einschränkung, sich in diesem Bereich normal zu entwickeln“, betont der Jugendforscher.

„Die Pandemie hat wie ein Katalysator gewirkt und schon vorhandene Ungleichheiten weiter verstärkt.

Klaus HurrelmannJugendforscher

Wer in Zukunft ohne Arbeit sein wird

Man müsse davon ausgehen, dass sich die Folgen dessen in vielen Bereichen zeigen werden, sagt Hurrelmann. Beispiel Arbeitsmarkt: Ein vorsichtiger Bick in die Zukunft zeigt, dass sich die Situation in den Schulen möglicherweise langfristig auf die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler auswirkt. Schon jetzt könne man sicher sagen, dass die berufliche Orientierung leide. So bestätigte der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, gegenüber der Deutschen Presseagentur, dass es derzeit kaum Betriebspraktika gäbe. Auch die Berufsberatung an den Schulen bezeichnete er als schwierig. Ausbildungsmessen können nicht stattfinden.

Das wird Arbeitgeber nach Einschätzung der Experten möglicherweise in Zukunft vor Probleme stellen. Zwar geht man derzeit in Hochrechnungen davon aus, dass die Jugendarbeitslosigkeit nur einen geringen Anstieg nehmen wird. Der Grund dafür ist, dass die großen Jahrgänge der Babyboomer jetzt ins Rentenalter übergehen. Ihre Stellen werden also frei und da nun – der Anzahl nach – nur halb so starke Jahrgänge nachrücken können, gibt es rein rechnerisch wenig Gerangel um offene Stellen. Doch die Qualifikation der jungen Menschen könnte ein Problem werden.

„Arbeitslos werden diejenigen jungen Menschen, die mit schlechten Voraussetzungen aus der Schule kommen und in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wollen“, sagt Hurrelmann. Sie werden seiner Einschätzung nach von der ange­spannten Lage am Arbeitsmarkt besonders getroffen sein und beim Übergang ins Berufsleben stark benachteiligt werden.

Was die Generation Corona jetzt braucht

Die Frage ist: Was kann man dagegen tun? Nach Meinung der Experten sei es jetzt wichtig, in den Bildungs­ein­rich­tungen mit gezielten Angeboten für einen Ausgleich der Benachteiligung zu sorgen. Denjenigen jungen Menschen, die es nicht schaffen, ihren Abschluss zu machen, sollte man ein Übergangssystem anbieten. „Das System ist zwar nicht richtig gut, weil es ein Bewahrsystem ist. Aber es hat den Effekt, dass die jungen Leute nicht auf der Straße stehen, sondern in einer Bildungseinrichtung aufgefangen werden und von dort aus zumindest zu einem gewissen Prozentsatz in Arbeit kommen“, sagt Hurrelmann.

Daneben sieht er die Unternehmen – private wie auch den Öffentlichen Dienst – in der Verantwortung, möglichst Struk­turen dafür zu schaffen, dass solchen Jugendlichen ein Angebot gemacht werden kann. Auch ihnen sollte eine Chance gegeben werden – besonders in Bereichen, in denen es einen Mangel an Arbeitskräften gibt. Daran müsse intensiv gearbeitet werden, sagt Hurrelmann. Aus seiner Sicht wäre es hilfreich, wenn Dachorganisationen hier organisatorisch einspringen würden. Denn für einzelne Betriebe sei es zu schwierig, sich entsprechend zu organisieren.

Die Deutsche Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw) hat sich aus diesem Grund schon frühzeitig in der Pandemie auf die Fahne geschrieben, Kinder und Jugendlichen unter die Arme zu greifen. Insbesondere solchen, die in den Schulen durch die Pandemie zurückgeworfen wurden. In verschiedenen Schulen unterstützt der gewerkschaftliche Jugenddachverband Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Geschlechts und Alters darin, durch Coaching schulische Defizite wieder auszugleichen.

„Wir sind als Jugenddachverband also genau an der richtigen Stelle aktiv“, sagt Susanne Aumann, Chefin der dbb jugend nrw. Auch in Zukunft wolle man ausloten, wo Hilfestellung sinnvoll und nötig sei und wenn möglich die Brücke zwischen Schulabgang und Beschäftigung schlagen.

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