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Hass-Kommentare im Netz werden nicht mehr hingenommen

Gewalt gegen Beschäftigte
7. September 2021

Übelste Beleidigungen im Netz, Hassäußerungen in den Kommentarspalten – früher galt das Netz als rechtsfreier Raum. Das ist längst Geschichte. Auch für Beschäftigte im Öffentlichen Dienst gibt es inzwischen diverse Möglichkeiten, sich gegen anonyme Beschimpfungen zur Wehr zu setzen.

„Ich schlag dir den Kopf ein!“ – einen solchen Kommentar würden die wenigsten einem Menschen direkt ins Gesicht sagen. Im Netz aber wimmelt es nur so von derartigen Hasskommentaren. Das weiß auch Susanne Aumann, Vorsitzende der dbb jugend nrw. Sie ist selbst Führungskraft in einem Ordnungsamt und weiß nur zu gut, was allein in diesem Bereich des Öffentlichen Dienstes auf die Beschäftigten einprasselt.

Beschäftigte im Öffentlichen Dienst werden oft im Netz verunglimpft

„‚Ihr seid doch selbst schuld!‘ oder ‚Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus‘ sind harmlose Beispiele für solche Hasskommentare“ sagt Aumann. Manchmal wird es bedrohlicher, sogar Gewaltandrohungen sind zu lesen. Solche für die Betroffenen beängstigenden oder beleidigenden Wortäußerungen stehen unter heimlich von Einsätzen gemachten Videos, die ins Netz gestellt oder über die sozialen Netzwerke verbreitet werden. Manchmal findet man sie auch in den Kommentarspalten von Presseberichten, die Übergriffe auf Beschäftigte wie Ordnungsamtsmitarbeiter, Polizisten oder auch Beschäftigte von Finanzbehörden und Kommunen zum Thema machen.

dbb jugend nrw sprach mit Justizminister Biesenbach

Dem will das NRW-Justizministerium etwas ent­gegen­setzen, wie jüngst bei einem persönlichen Gespräch zwischen Vertretern der dbb jugend nrw und Justiz­mi­nis­ter Peter Biesenbach nachdrücklich klar wurde.

Einen Schritt in diese Richtung gab es jüngst auch auf Bundesebene: Das Gesetzespaket gegen Rechts­extre­mis­mus und Hasskriminalität, das Anfang April in Kraft getreten ist. Es verschärft und erweitert einige Gesetze und soll so dazu beitragen, dass es mehr Ordnung und Sicherheit im Netz gibt. Künftig können Sätze wie „Ich schlag dir den Kopf ein!“ für den Verfasser beispiels­weise zu bis zu zwei Jahren Haft führen. Möglich macht das eine Ausweitung des Bedrohungsparagrafen im Strafgesetzbuch. Auch sexuellen Drohungen, solchen gegen die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder Sachen mit bedeutendem Wert wird nun nachgegangen – und sie werden mit Geld- oder Haftstrafen empfindlich geahndet.

„Wir begrüßen sehr, dass solche Straftaten nun mit Nachdruck verfolgt werden“, sagt Aumann. Was perspektivisch eben­falls dazu beitragen wird: Ab dem Jahr 2022 sollen strafbare Postings in den sozialen Netzwerken nicht mehr gelöscht werden, sondern dem Bundeskriminalamt (BKA) gemeldet werden. Die Ermittlungsbehörde erhält neben dieser Mitteilung auch die IP-Adresse des entsprechenden Users. So kann dessen Standort leichter ermittelt werden.

Wir können nur hoffen, dass in Behörden nicht weggeschaut wird, sondern man dort jeden ein­zelnen Beschäftigten unterstützt, der in Zusammenhang mit seiner Arbeit für den Öffentlichen Dienst im Netz be­lei­digt, bedroht oder verunglimpft wird

Susanne AumannVorsitzende der dbb jugend nrw

Was in NRW gegen Hasskommentare unternommen wird

Die Justiz in NRW geht zudem über die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW (ZAC NRW) gegen Hate Speech und Hasskommentare vor. Die ZAC NRW, die bei der Staatsanwaltschaft Köln angedockt ist, hat sich als bundesweit größte Cybercrime-Einheit der Justiz etabliert. Von dort aus führen Staatsanwälte Strafverfahren in Sachen Cyber­kriminalität. Zu denen zählen auch im Netz verbreitete strafbare Postings. Neben der Ausweitung des Straftatbestandes „Bedrohung“ könne es durch eine Meldepflicht in Zukunft mehr Anzeigen in diesem Bereich geben, sagt Christoph Hebbecker, Staatsanwalt des Sonderdezernats „Hate Speech“ bei der ZAC NRW im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Wer solche Taten begehe, solle sich überlegen, ob er sich mit diesen in einem Hauptverhandlungssaal bei Gericht konfrontiert sehen wolle. Auf diese Weise hole man die Menschen aus der Anonymität ihrer Taten heraus. „Sie haben schlicht nicht damit gerechnet und sind geschockt, wenn wir dann das Handy und den Rechner mitnehmen“, sagt Hebbecker gegenüber der Rheinischen Post.

Hunderte von Ermittlungsverfahren angestoßen

Das Sonderdezernat ist bei der Ermittlung sehr erfolgreich. Seit Februar 2018 konnte es ca. 170 Beschuldigte identifizieren. Hunderte von Ermittlungserfahren liefen. Auch in anderen Bundesländern wurden ähnliche Anlaufstellen eingerichtet, an die sich Behörden oder Unternehmen nach Vorfällen wenden können. In Bayern gibt es beispielsweise seit Januar 2020 einen Hate-Speech-Beauftragten bei der Generalbundesanwaltschaft in München. Auch dieser ko­or­di­niert und unterstützt die Arbeit der 22 Sonderdezernenten der örtlichen Staatsanwaltschaften mit Blick auf die strafrechtliche Bearbeitung von Verfahren rund um Hass und Hetze im Internet.

Projekt „Verfolgen statt nur Löschen“ geht gegen Täter vor

Seit dem Jahr 2017 ist in NRW zudem das Gemeinschaftsprojekt „Verfolgen statt nur Löschen“ zwischen der Polizei und der Landesanstalt für Medien und Medienunternehmen am Start. „Dort arbeiten Experten koordiniert zusammen an der Strafverfolgung von Hass-Postings im Netz“, berichtet Aumann aus dem Gespräch mit dem Justizminister. In diesem Jahr haben sich diesem Projekt 13 weitere Medienhäuser angeschlossen.

Mit rund 900 Anzeigen und über 550 Ermittlungsverfahren in den letzten Jahren werde deutlich, dass Hassnachrichten auch für Redaktionen ein ernsthaftes Problem darstellen und es dringend notwendig sei, strafrechtlich einzugreifen, so die Medienanstalt NRW.

„Aus diesem Grund können wir nur hoffen, dass in Behörden nicht weggeschaut wird, sondern man dort jeden ein­zelnen Beschäftigten unterstützt, der in Zusammenhang mit seiner Arbeit für den Öffentlichen Dienst im Netz be­lei­digt, bedroht oder verunglimpft wird“, sagt Aumann. Die Führungsebenen seien hier gefordert. Eines macht Aumann ganz deutlich: „Wegsehen ist inakzeptabel!“

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