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In Pandemiezeiten nehmen die Übergriffe zu – vor allem im Netz

Gewalt gegen Beschäftigte
21. Juli 2021

Kommunen berichten von verbalen Konflikten und tätlichen Übergriffen auf ihre Mitarbeiter/innen, Ordnungskräfte und Polizisten werden gezielt angegriffen. Das Thema „Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst“ ist in Zeiten der Pandemie aktueller denn je und bekommt eine weitere Dimension: Auch im Netz kursieren Hetze und Gewalt. Zeit, etwas zu tun, findet die dbb jugend nrw.

Viele Städte beklagen eine zunehmende Zahl an Übergriffen auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im öffentlichen Personennahverkehr in NRW verschärft sich die Lage und auch die bayerische DPolG beklagt, dass inzwischen jeder zweite Polizist Gewalterfahrungen macht. Die Situation hat sich während der Pandemie weiter zugespitzt. Aus diesem Grund setzt die dbb jugend nrw ihre Kampagne „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ fort und drängt auf verschiedene Maßnahmen, um die Situation zum Schutz der Beschäftigten zu verbessern. „So hält es auch ein Leitantrag fest, den unsere Mitglieder beim Landesjugendtag im April beschlossen haben“, sagt Susanne Aumann, Vorsitzende der dbb jugend nrw. Wie aber sieht die Lage derzeit konkret aus?

Maskenpflicht führte zu mehr Übergriffen

Der erste Sicherheitsbericht zur Situation des Öffentlichen Personennahverkehrs in NRW ist erst wenige Wochen alt. Das Ergebnis: In nur einem Jahr kam es zu fast 39.200 „sicherheitsrelevanten Vorfällen“, wie es im Bericht des Kompetenzcenters Sicherheit (KCS) heißt, das diese Erhebung für den Nahverkehr Rheinland, Westfalen-Lippe und den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr erstellt hat.

Allein rund 5.000 Beleidigungen, 1.800 Bedrohungen, 606 Körperverletzungen und 5.700 Ordnungswidrigkeiten wegen „Nichteinhaltung der Maskenpflicht“ fallen darunter – und das, obwohl Verstöße gegen die Maskenpflicht erst seit dem 9.9.2020 erfasst wurden.

Was auffällt: Die Zahl der Einträge in die Sicherheitsdatenbank steigt im Verlauf des Corona-Jahres immer weiter an und erreicht im Lockdown gegen Ende des Jahres 2020 ihren Höhepunkt.

Ordnungsdienstmitarbeiter gebissen und Autos demoliert

Auch viele Kommunen berichten von einer Zunahme verbaler Konflikte und tätlicher Angriffe. Aus Köln ist zu vernehmen, die Ordnungsdienste würden zum Teil gezielt angespuckt, gebissen oder anderweitig körperlich angegangen. Eine Umfrage, die „Welt am Sonntag“ unter den 15 größten Städten in Deutschland gemacht hat, zeigt ein ähnliches Bild in Düsseldorf, Dortmund, Essen und Duisburg: Dienstfahrzeuge werden beschädigt, die Aggression nimmt zu.

Schwere Angriffe übers Netz sind auf dem Vormarsch

Davon wissen auch viele Polizeibeamte zu berichten. In Summe meldet die bayerische DPolG fast 8.600 Gewaltvorfälle im Jahr 2020. Die Zahl habe sich verdoppelt, heißt es aus dem Freistaat. Immer häufiger würden Hieb- und Stichwaffen eingesetzt. Eine weitere Beobachtung, die in der Pandemiezeit neben den Polizisten und Ordnungsdiensten auch andere Bereiche machen: Es zeigt sich ein neues Phänomen. „Wir beobachten, dass die Angriffe gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst im Netz zugenommen haben“, sagt Aumann. Mit den Belastungen durch die Pandemie lasse sich dies nicht entschuldigen.

Beispiele kann Aumann viele nennen. Eines davon: Ein Einsatz von Mitarbeitern des Ordnungsdienstes es­ka­lierte und die beteiligten Personen mussten aus diesem Grund zum Ende fixiert werden. Kurz darauf tauchte ein Video in den Sozialen Medien auf. Mit entsprechenden Kommentaren wie: „Eines Tages treffen die auf den Fal­schen, dann wird deren Blut vergossen“ oder „Einfach mal auf das Ordnungsamt und die Polizei ein­schlagen; ihnen etwas von der eigenen Medizin geben“. Wie Aumann berichtet, die selber in leitender Position in einem Ordnungsamt arbeitet, wurde in diesem Fall An­zeige erstattet. Das aber ist nicht immer so, obwohl Einsatzkräfte, Ordnungsbehörden, Rettungs­kräfte und andere Ein­satz­bereiche des Öffentlichen Dienstes zu­sehends medialem Druck ausgesetzt seien, sagt die NRW-Chefin der dbb jugend.

Oft werden solche Aufnahmen aus dem Zusammenhang gerissen, gekürzt dargestellt und Betroffene könnten sich gar nicht zu der entsprechenden Situation äußern. Auch würden Persönlichkeitsrechte einfach übergangen, stellt Aumann fest. Die Täter fühlten sich oft sicher, weil sie sich im Netz anonym bewegen könnten.

Denkbar wäre, einen Hate-Speech-Beauftragten für das Land NRW einzusetzen.

Susanne AumannVorsitzende der dbb jugend nrw

Was man gegen die Hetze im Netz tun könnte

Zwar gebe es inzwischen in vielen Bereichen Schutzkonzepte, die darauf abzielen, die Zahl der Übergriffe gegen öffentlich Bedienstete zu minimieren, doch fänden diese zu wenig Berücksichtigung, wenn es um Übergriffe virtueller Natur gehe. „Auch das Internet ist kein rechtsfreier Raum und Hass keine Meinung“, sagt Aumann. Man brauche in dieser dynamischen Zeit mehr Sensibilisierung für das Thema und eine Anlaufstelle. „Denkbar wäre unserer Meinung nach, einen Hate-Speech-Beauftragten für das Land NRW einzusetzen“, sagt Aumann. Ein solcher ist beispielsweise für Bayern bei der Generalbundesanwaltschaft München angesiedelt und unterstützt von dort aus 22 Sonder­de­zer­nenten, die in den örtlichen Staatsanwaltschaften Verfahren zu Hass und Hetze im Netz bearbeiten.

Daneben fordert die dbb jugend nrw in ihrem politisch verabschiedeten Leitantrag „Mehr Schutz und Sicherheit für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst“ eine statistische Aufarbeitung der Übergriffe in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Diese weist derzeit lediglich gesondert Übergriffe gegen die Polizei und Rettungskräfte auf. Alle anderen Berufsfelder des Öffentlichen Dienstes seien jedoch zu wenig berücksichtigt, moniert Aumann.

Überfällig: Behörden müssen sich über „Gefährder“ austauschen können

Zudem sei es längst überfällig, Möglichkeiten zu schaffen, die einen Austausch von sicherheitsrelevanten Informationen zulasse. Den gäbe es derzeit nicht einmal innerhalb von Behörden. „Wenn die Stadtkasse weiß, dass dort jemand ausgerastet ist und diese Person anschließend einen Termin im Sozialamt hat, muss diese Information dort abrufbar sein“, sagt Aumann. Nur so könne man den Schutz der Mitarbeiter erhöhen und einem erneuten Übergriff präventiv vorgreifen.

Gute Beispiele dafür gebe es bereits, sagt die junge Gewerkschafts-Chefin. In Köln habe man ein umfassendes Melde­register geschaffen, in dem dies musterhaft umgesetzt sei. „Wir brauchen mehr solch mutiger Schritte und Ent­wick­lungen“, hält Aumann fest. Aus Sicht der dbb jugend nrw sei darum ein Melderegister nach dem Kölner Vorbild flächendeckend und perspektivisch sogar behördenübergreifend wichtig.

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