Das Problem mit dem Migrationshintergrund
Nichts an ihr ist migrationsverdächtig, wie sie selber sagt. Nur ihr Name: Daria Abramov. Seit wenigen Monaten ist sie Mitglied der dbb-Bundesjugendleitung. Dort spielt es keine Rolle, dass sie fremde Wurzeln hat. Bei ihrer Arbeit im Sozialamt schon. Welche, hat sie uns erzählt.
Als Daria Abramov den ersten Atemzug in ihrem Leben macht, ist sie dem Pass nach Russin. Heute sieht man ihr das nicht an. Sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft und arbeitet im Staatsdienst auf kommunaler Ebene. Das ist kein erwartbarer Lebenslauf.
Als Daria sechs Jahre alt ist, entschließen sich ihre Eltern – ihr Vater ist Russe, ihre Mutter deutsche Spätaussiedlerin – nach Deutschland zu gehen. „Ich bin also hier in Deutschland in die Schule gekommen“, erzählt sie. Nicht nur dort spricht sie Deutsch – auch zu Hause ist das so. Nur gegessen wird hier nach wie vor auch gerne mal Russisch.
Man sieht nichts und man hört nichts – und trotzdem ist es anders
Das jedoch sieht ein Außenstehender nicht. „An mir ist nichts migrationsverdächtig“, scherzt Daria. „Man hört meinen Migrationshintergrund nicht und man sieht es mir nicht an,“ sagt die junge Frau mit den hellblonden Haaren und den blauen Augen.
Dennoch entgeht es manchem Bürger nicht, der mit ihr in ihrem Job im Sozialamt der Stadt Wuppertal zu tun hat. „Es gab schon Kunden, die in mein Büro kamen und aufgrund meines Nachnamens einfach mit mir Russisch gesprochen haben“, sagt Daria. Dabei könne sie ihren Nachnamen ja auch angeheiratet haben, wendet sie ein. In Zusammenhang mit der Tätigkeit im Öffentlichen Dienst bleibt die Teamleiterin im Sozialamt lieber bei der Amtssprache Deutsch. Das hat verschiedene Gründe.
Zweite Muttersprache kann Nachteile schaffen
Zweite Muttersprache kann Nachteile schaffen„Ich möchte nicht aufgrund meiner russischen Sprachkenntnisse zum festen Ansprechpartner für bestimmte Personen werden“, sagt Daria. Es könne dann leicht dazu kommen, dass sich einzelne Personen möglicherweise besondere Vorteile erhofften, weil sie sich verbunden fühlen. Zudem, wendet Daria ein, sei ihr Russisch nicht verhandlungssicher. „Ich fühle mich da in meiner deutschen Sprache sicherer, gerade wenn es um gesetzliche Spitzfindigkeiten geht“, sagt die junge Frau.
Solch trockene juristische Materie ist nicht jedermanns Sache. Bei Daria ist es hingegen so etwas wie eine kleine Leidenschaft. Denn als nach Teenager-Berufsträumen die Berufsorientierung anstand, war in ihr gleich der Wunsch wach, etwas Juristisches zu machen. „Ein Lehrer hat mir dann den Vorschlag gemacht, doch in den Öffentlichen Dienst zu gehen, weil die Arbeit dort sehr juristisch und zugleich sicher sei“, erinnert sich die junge Teamleiterin. Ohne diesen Vorschlag wäre sie vielleicht niemals dort tätig. So aber entschied sie sich 2005 für eine Bewerbung bei der Stadt.
Kulturelle Verschiedenheit ist eine Bereicherung
Eindrücklich schilderten Gewerkschaftsvertreterinnen aus Spanien bei der Konferenz die massiven Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Beschäftigten in den Krankenhäusern. So hätten viele Pflegekräfte nicht nur mit den Auswirkungen eines völlig überlasteten Gesundheitswesens zu kämpfen, sondern sähen sich auch noch mit der gestiegenen Aggression hilfloser Angehöriger konfrontiert.
Aus den bedrückenden Schilderungen der europäischen Gewerkschafter/innen wurde schnell deutlich: Die Nerven der Menschen liegen allerorten blank. Die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sind diejenigen, die in Krankenhäusern, in Behörden und in der Organisation des öffentlichen Lebens einerseits alles geben, um die Folgen der Pandemie zu bewältigen. Andererseits entlädt sich der Zorn und die Hilflosigkeit der Bevölkerung oft ausgerechnet an den Bediensteten des Staates.
Gewalt gegen Beschäftigte steigt durch Corona
Gefühlt habe sie dort viele Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund, sagt Daria. Insgesamt ist das allerdings im Öffentlichen Dienst eher Wunsch als Wirklichkeit. Denn der Anteil junger Menschen mit fremdländischen Wurzeln ist nach wie vor gering. Lediglich neun Prozent der Beschäftigten im Staatsdienst haben einen Migrationshintergrund. Daria würde sich wünschen, dass es mehr wären. „Kultur und Vielfalt sind schön. Ich empfinde es als bereichernd, auch am Arbeitsplatz mitzubekommen, dass es andere Sitten und Gebräuche gibt“, sagt sie.
Doch es gibt auch die Schattenseite dessen. Vor allem im Moment. Seit einigen Monaten hat sich auch in Deutschland Gravierendes verändert. Es begann mit dem Krieg Putins in der Ukraine. Dieser schafft Fronten. Auch in Deutschland. Viele Menschen aus Russland oder mit russischen Wurzeln erleben heftige Anfeindungen. Das Bundeskriminalamt dokumentierte hunderte einschlägiger Straftaten: Sachbeschädigungen, Beleidigungen oder Bedrohungen zählen dazu.
”Ich möchte nicht aufgrund meiner russischen Sprachkenntnisse zum festen Ansprechpartner für bestimmte Personen werden.
Daria AbramovTeamleiterin im Sozialamt
Abgestempelt aufgrund der Herkunft
Auch Daria hatte in dieser Zeit ein Erlebnis, das ihrer Motivation, kulturelle Ideen aus Russland nach Deutschland zu bringen, eine Delle verpasst hat. Anlass war der Weltfrauentag – in Russland ein großer Tag, der unglaublich gefeiert wird, wie Daria erzählt. „Der russische Weltfrauentag ist ein bisschen vergleichbar mit dem Muttertag hierzulande“, sagt Daria. Die Frauen stehen einmal im Mittelpunkt, werden beschenkt und verwöhnt. Aus diesem Grund hatte Daria sich überlegt, alle Frauen in ihrem Team an diesem Tag mit Blumen zu überraschen. Begeistert von dieser Idee ging sie in einen Blumenladen und erzählte von dieser russischen Tradition. Von der anderen Seite der Ladentheke war deutliche Ablehnung zu spüren. – Weil sie ihre russischen Wurzeln so offen offenbart hatte.
Eine ernüchternde Situation, erinnert sie sich. Einmal mehr, „weil ich selbst es gar nicht so empfinde, dass ich einen Migrationshintergrund habe“, sagt sie. Daria fühlt sich perfekt integriert. Das habe auch damit zu tun, dass der deutsche Anteil in ihr immer überwogen habe.
Sie hofft, dass sich viele junge Menschen mit fremdländischen Wurzeln in Zukunft für einen Job im Öffentlichen Dienst entscheiden werden. Es wanderten so viele Menschen zu, dass man sicher sein könne, dass sich in dieser Hinsicht noch viel verändern werde, sagt Daria. „Und so muss es auch sein.“