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Gewalt: Blick über Berufsgruppen hinweg nötig

Gewalt gegen Beschäftigte
4. März 2024

Rund 76 Prozent aller Lehrkräfte an Gesamtschulen sind in den vergangenen drei Jahren Opfer von Gewalt geworden. Ob in Schulen, Ordnungsämtern oder anderen Verwaltungsbereichen – das Problem ist überall präsent. Jetzt trafen sich Betroffene, Experten und Politik, um das gemeinsam zu stoppen.

Es waren über 100 Betroffene, Führungskräfte, Wissenschaftler und Personalvertretungen, aber auch Verantwortliche aus der Politik, die sich zu einer dreitägigen Fachtagung in Bensberg auf den Weg gemacht hatten. Ihr Ziel: sich fachlichen Input abzuholen und in Workshops und Diskussionen Ideen dazu zu entwickeln, wie sich das Problem der zunehmenden Übergriffe auf Beschäftigte im Öffentlichen Dienst reduzieren lässt.

Wenn schon jeder einzelne von Ihnen nach Hause geht und eine einzige Idee umsetzt, die er auf der Tagung mitgenommen hat, dann haben wir viel erreicht

Herbert ReulNRW-Innenminister

„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir nur durch vernetztes Arbeiten und den Blick über Berufsgruppen und Behördengrenzen hinweg etwas erreichen können“, sagt Susanne Aumann, die für die Deutsche Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw) vor Ort über Erfahrungen aus der Kampagne „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ wie auch die Forderungen des gewerkschaftlichen Jugenddachverbandes berichtete. Dazu zählen unter anderem ganzheitliche und verbindliche Sicherheitskonzepte.

„Lassen Sie uns kleine Schritte machen! Wenn schon jeder einzelne von Ihnen nach Hause geht und eine einzige Idee umsetzt, die er auf der Tagung mitgenommen hat, dann haben wir viel erreicht“, sagt Innenminister Herbert Reul zum Thema Gewaltschutz in Bensberg.

Genau das hat sich das Präventionsnetzwerk #sicherimDienst, das gemeinsam mit der Thomas Morus-Akademie und der Behörden Spiegel-Stiftung zu der Fachtagung eingeladen hatte, auf die Fahne geschrieben: Nicht immer wieder das Rad neu zu erfinden, sondern von Erfahrungen und guten Ansätzen anderer zu profitieren und diese weiterzugeben.

Nach dieser Idee kamen bei der Tagung Betroffene zu Wort und erzählten von eigenen Erfahrungen durch Bedrohungen bei der Arbeit wie beispielweise bei der Polizei, im Gesundheitswesen oder in der Bürgermeister-Funktion. Wie haben sie jeweils die Bedrohung erlebt? Welche Unterstützung stand im Nachgang zur Verfügung?

Meldesystem und Blaue Briefe zeigen Wirkung

„Viele Behörden, Organisationen und Vereine haben inzwischen das Thema ‚Mehr Respekt und Toleranz‘ auf ihre Fahnen geschrieben und engagieren sich dafür“, berichtet Aumann nach der Fachtagung. Das bringe im positiven Sinne Bewegung in die Gesellschaft, in Wertevorstellungen und vermittle wie wichtig es ist, nicht nur innerhalb eigener persönlicher Interessen zu handeln.

Best-Practice-Beispiele bekamen die Tagungsteilnehmenden unter anderem aus Köln. Dort hat man vor einigen Jahren damit begonnen ein Zentrales Melde- und Auskunftssystem (ZeMAG) zu etablieren, in dem besonders für gefährdete Bereiche mit Bürgerkontakt sichtbar gemacht wird, mit welchen konkreten Personen es in der Vergangenheit bereits Zusammenstöße gegeben hat. Das versetzt Mitarbeitende in die Lage, entsprechende Vorsorge zu treffen und im Vorfeld Gefahrenpotenziale auszumachen.

Aumann (rechts) und Schorn auf der Fachtagung in Bensberg

Als erfolgreiches Modell wurde in Bensberg auch das Prinzip der „Blauen Briefe“ vorgestellt – eine Idee, die in Wuppertal geboren wurde. „Kern dieses Verfahrens: Bürger, die beim Besuch der Verwaltung durch unangemessenes Verhalten auffallen, werden mit blauen Briefen verwarnt“, erklärt Nicole Schorn, stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend nrw und selbst Beschäftigte der Stadt Wuppertal. Inzwischen haben verschiedene Städte diese Idee bereits übernommen.

Sicherheitskonzepte müssen gelebt werden

Die Praxis im Blick hatte Aumann auch bei ihrem Workshop, in dem es um die Bestandteile von passgenauen Sicherheitskonzepten gehen sollte, die sich am Präventionsleitfaden des Präventionsnetzwerkes #sicherimDienst orientierten. „Schon kleinen Schritte für mehr Schutz und Sicherheit helfen und erzielen Wirkung. Wichtiger ist aber, dass Sicherheitskonzepte Teil der Organisationskultur werden und vor allem von Führungskräften gelebt werden“, betont Aumann.

Inwieweit entsprechende Ansätze wirken können, was die Ursache für Respektlosigkeit und Gewalt gegen Beschäftigte sind und welche Entwicklungen zu sehen sind, darüber berichteten Wissenschaftler wie Gewaltforscher Andreas Zick. Er zeigte eindrücklich, wie Vertrauensverluste in Institutionen und Politik sich auf neue, aggressiv untermalte politische Einstellungen auswirken. „Das Vertrauen in den Staat, also Politik und Verwaltung, ist auf einem Tiefpunkt.“ Ein Teil der Mitte der Gesellschaft distanziere sich von der Demokratie, sagt Zick. „In Zeiten multipler Krisen bringt das nicht nur Staatsbedienstete in Gefahr, sondern auch die Demokratie“, mahnt Aumann.

Respekt und Toleranz muss zurück in die Gesellschaft

Möglichkeiten, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, sehen die Experten auch in Initiativen aus der Zivilgesellschaft, die sich die Stärkung der Demokratie und den Einsatz für Respekt und Toleranz in unserer Gesellschaft zum Ziel gesetzt haben. Ein Beispiel für solches Engagement ist die auch von Reul gelobte Initiative „Der Mensch dahinter“.

Respekt und Toleranz zu schaffen, eine wehrhafte Demokratie zu bewahren und an einem sicheren Arbeitsplatz zu arbeiten sei nicht im Sprint zu erreichen, hielten Gewaltforscher Andreas Zick und Militärdekan Uwe Rieske in der Abschlussrunde mit Aumann fest. Dennoch müsse es in einer schnelllebigen Zeit wie der heutigen im Dauerlauf voran gehen. Man brauche Konzepte für sichere Arbeitsplätze, die immer wieder überprüft und angepasst werden. Aumann resümiert: „Uns ist klar, dass es keine 100-prozentige Sicherheit gibt. Aber die Arbeitgeber müssen in der Vorsorge das Bestmögliche tun, um ihre Beschäftigten zu schützen.“

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