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Alltagsrassismus: Auch Komplimente können rassistisch sein

Gesellschaftspolitik
14. März 2024

Studien zeigen immer wieder: Rassistisches Denken steckt tief in den Köpfen. Auch in Deutschland. Oft verbirgt es sich unbewusst in Äußerungen, die unbedarft getan werden. Sogar in Komplimenten. In der Woche gegen Rassismus will die dbb jugend nrw den Blick dafür schärfen.

„Für eine Türkin sprichst du aber ganz schön gut Deutsch!“ – Was sich im ersten Moment wie ein Kompliment anhört trifft Esra M. jedes Mal. Denn sie ist in Deutschland geboren, hier zur Schule gegangen. Dennoch passiert es immer wieder, dass von ihren äußeren Merkmalen – ihrem Aussehen oder ihrem Namen – beispielsweise auf ihre Herkunft oder ihre Muttersprache geschlossen wird. Es kann auch die Frage nach der vermeintlichen Herkunft sein, die für Esra M. verletzend ist. Diese impliziert nämlich eine Herkunft aus einem anderen Land. Esra aber ist waschechte Düsseldorferin. Sie wurde dort geboren.

Wir wollen Alltagsrassismus sichtbarer machen, damit er weniger wird

Susanne AumannVorsitzende dbb jugend nrw

Auch Sprache selbst transportiert oft unbewusst rassistische Bilder. Wer beispielsweise von „Fremdenfeindlichkeit“ spricht, mag sich vermeintlich genau gegen Rassismus stark machen, sorgt jedoch durch die Wortwahl dafür, dass aus Menschen, die möglicherweise seit Generationen in Deutschland leben, „Fremde“ werden.

Alltagsrassismus nennt sich das Phänomen, das hinter diesen Beispielen steckt. Er kommt mit einem Lächeln daher, ist aber trotzdem für die Betroffenen verletzend und erzeugt ein Gefühl von Ausgrenzung. Durch bewussten oder unbewussten Rassismus wird eine Gruppe aufgewertet und die andere herabgesetzt. Rassismus bringt Macht für die eine Seite und Ohnmacht für die andere. Dazwischen ist oft Schweigen.

Alltagsrassismus geschieht oft unbeabsichtigt

Häufig entsteht Alltagsrassismus nicht aus einer schlechten Intention, sondern er geschieht unbeabsichtigt – aus mangelnder Reflektion heraus. Darum ist er für Nicht-Betroffene oft unsichtbar.

Solche Mikroaggressionen passieren an vielen Orten und durch Menschen, die sich selbst von Rassismus deutlich distanzieren: Dann nämlich, wenn man sich im Bus von einer BPoC (Black and People of Color) wegsetzt. Oder eine BPoC am Eingang zum Club abgewiesen wird, weil sie vom „Style“ nicht in die Veranstaltung passt. Oder auch dann, wenn die Schuhverkäuferin aufgrund ihrer Hautfarbe mit Blicken fixiert wird. Er ist da, wo Belat länger nach einer Wohnung suchen muss als Anna und Fahid mehr Bewerbungen schreiben muss als Marco. Was einzeln betrachtet vielleicht wie eine Kleinigkeit daherkommt, kann für die Betroffenen in der Summe eine lebenslange Belastung sein.

„All dies wollen wir gerne sichtbarer machen und beteiligen uns darum an der Woche gegen Rassismus“, sagt Susanne Aumann, Vorsitzende der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw). Rassismus und Stammtischparolen waren auch schon Schulungsinhalte beim Kreisjugendleitungsforum, bei dem die dbb jugend nrw regelmäßig alle Jugendleiterinnen und Jugendleiter fortbildet.

Viele Verfassungen verbieten Rassismus

Eigentlich soll es keine Unterschiede zwischen Menschen also keine Diskriminierung durch Rassismus geben. Das deutsche Grundgesetz und viele andere Verfassungen verbieten ihn. „Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus dürfen in Deutschland und auch anderswo keinen Platz haben“, sagte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des 25. Jahrestages des rassistisch motivierten Brandanschlags in Solingen, bei dem fünf Menschen starben.

Vielerorts ist aber das Gegenteil der Fall. Menschen werden wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder Herkunft abgelehnt, ausgegrenzt oder angegriffen. Es gibt unterschiedliche Formen von Rassismus: Anti-Schwarzen-Rassismus, antimuslimischen Rassismus, antiasiatischen Rassismus, Rassismus gegen Menschen aus Osteuropa oder Rassismus gegen Sinti und Roma. Manche Forscherinnen und Forscher ordnen auch Antisemitismus als eine Form von Rassismus ein, andere wiederum trennen dies mit der Begründung, dass jüdisch zu sein keine ‚Rasse‘ ist, sondern eine Religionsform. „Rassismus ist nicht nur eine Ausgrenzung von Menschen, sondern das Einteilen von Menschen in nicht vorhandene Rassen und eine damit in Verbindung stehende (strukturelle) Abwertung und Benachteiligung.“, sagt Annemarie Benke, Bildungsreferentin der dbb jugend nrw und Referentin für das Thema Rassismus.

Rassismus und Rechtsextremismus häufig verknüpft

Das schneidet ein weiteres Problem an: Rassismus wird häufig automatisch mit Rechtsextremismus verknüpft, denn Nazis waren rassistisch, weil sie die Menschen in Rassen einteilten und ermordeten. Der Blick dafür, dass Rassismus durch unbedachtes Verhalten und unreflektierte Sprache vielen Menschen passiert, die mit solchen Ideologien nichts am Hut haben, ist oft nicht vorhanden. So sprach Moderatorin Anne Will durch einen Versprecher, wie sie später auf Twitter klarstellte, von einem „Rassenproblem“ in den USA, was die deutsche Journalistin Alice Hasters – selbst Schwarze – mit dem Begriff „Rassismusprobleme“ verbesserte.

Was also tun, um sensibler mit dem Thema umzugehen? Ganz konkret: Statt Menschen im Smalltalk nach ihrer Heimatstadt zu fragen, könnte man sich auch fragen: Warum ist das jetzt so wichtig? Kann das weg? „Es gibt eine Frage, die wir uns stellen können, um Diversität mitzudenken: Wer fehlt in dieser Runde hier – und vor allem warum?“, sagt Benke und gibt damit eine Hilfestellung, um das Thema im Alltag sichtbarer zu machen.

„Alle Formen von Rassismus haben gemeinsam, dass bestimmte Gruppen von Menschen von der eigentlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Ich finde es in diesen Tagen besonders wichtig, sich das immer wieder bewusst zu machen, selbst sensibler mit Alltagsrassismus umzugehen und Rückgrat zu zeigen, wenn es in großem Stil darum geht, Menschen herabzusetzen“, sagt Aumann.

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