„Einige sind am Existenzminimum – wir brauchen ein Gehaltsplus“
Drei Stunden Austausch zum Auftakt der ersten Verhandlungsrunde am 24. Januar. Dann war der Spuk schon wieder vorbei. Mehr als eine verpasste Chance, sagt Daniel Weber von der dbb jugend nrw. Warum und was Unternehmen wie Mercedes besser machen, um Beschäftigte zu finden und zu binden, erklärt er im Interview.
Die Wahrnehmung bei den Arbeitgebern, in der Politik und auch bei Verhandlungsführerin Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist geschärft: Es sei richtig, dass die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sehr belastet seien. Die Corona-Krise und die Folgen des russischen Krieges in der Ukraine laste auf ihren Schultern. Für eine finanzielle Anerkennung und einen Ausgleich zur sprunghaft steigenden Inflation will man aber trotzdem nicht sorgen. Die Forderungen der Gewerkschaften nach 10,5 Prozent Einkommensplus seien zu hoch, heißt es auch nach dem Verhandlungsauftakt.
Warum ist dieses Prozedere zwar erwartbar, aber gerade diesmal besonders enttäuschend?
Daniel Weber: Weil unsere Forderungen am untersten Rand angesetzt sind, wenn wir sehen, wohin die Inflation abhebt. Wenn wir nicht bei 10,5 Prozent landen, bewegen wir uns auf ein Minus zu. Alle sehen, dass die Einkäufe teurer geworden sind und die Benzinpreise drohen erneut zu steigen. Wie sollen vor allem Beschäftigte der unteren Gehaltsgruppen das bezahlen können? Manche sind auch im Öffentlichen Dienst am Existenzminimum. Ich kenne Beschäftigte, die in diesen Zeiten Kindergeburtstage absagen müssen, Urlaub streichen und die Sorge vor dem 20. im Monat haben, weil es dann finanziell eng wird. Darum hätten wir zum Auftakt schon andere Signale gebraucht.
Welches andere Signal hättest du dir gewünscht?
Daniel Weber: Dass Frau Faeser in die erste Runde gegangen und ein Angebot vorgelegt hätte. Das hat es noch nie gegeben und das wäre im richtigen Moment – mitten in einer Zeit der Krisen, Mehrarbeit, unvorstellbaren Belastung, aber auch der Zuverlässigkeit der vielen Beschäftigten – ein deutliches Zeichen gewesen. Ein solches Signal hätten wir gebraucht. Dass das ausblieb, ist nicht nur eine Katastrophe für die derzeitig Beschäftigten, die in den letzten Jahren mehr als gute Arbeit geleistet haben. Es hat auch eine katastrophale Wirkung auf die Außenwirkung des Öffentlichen Dienstes und unsere Nachwuchsgewinnung.
Denkst du, es gefährdet die Nachwuchsgewinnung?
Daniel Weber: Ja natürlich! Ein Beispiel: Gerade ging die Meldung durch die Medien, dass Mercedes seinen Tarifbeschäftigten eine Prämie von bis zu 7.300 Euro auszahlt. Junge Leute, die jetzt vor dem Abi stehen und das lesen und dann die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst mitbekommen, die wissen ganz genau, was Sache ist. Sie haben die Wahl, sich bei Unternehmen zu bewerben, die mit Prämien locken oder einem Öffentlichen Dienst, dem manchmal applaudiert wird, wo es dann aber damit auch getan ist. Wir brauchen aber Nachwuchs. Schon jetzt fehlen massiv Experten. Bis 2030 sollen es alleine im IT-Bereich 140.000 Stellen sein, die benötigt werden, aber unbesetzt bleiben. Wir können uns eine solche Personalpolitik nicht mehr länger leisten! Es muss etwas passieren!
Eines der Hauptargumente, sich in Krisenzeiten im Öffentlichen Dienst zu bewerben, ist, dass dieser krisensicher ist. Warum reicht das aus deiner Sicht nicht?
Daniel Weber: Junge Menschen gucken zwar in Krisenzeiten möglicherweise mehr auf die Sicherheit ihres potenziellen Arbeitsplatzes, aber sie schauen auch darauf, wo es am attraktivsten ist für sie zu arbeiten. Und das ist es im Öffentlichen Dienst definitiv nicht. Wir sollten uns mehr bewegen was die flexible Arbeitszeitgestaltung angeht und projektbezogenes Arbeiten statt der Arbeit in starren Zeitrahmen, vernünftige Teilzeitkonzepte oder Co-Working-Spaces. Und natürlich eine angemessene und faire Bezahlung. Ein weiteres Problem, das vor allem junge Beschäftigte trifft, ist das Problem der Befristung. In vielen Bereichen werden trotz der Nachwuchssorgen, die uns im Öffentlichen Dienst plagen, junge Menschen nach ihrer Ausbildung nur befristet eingestellt. Das ist vor allem bei den Kommunen ein riesiges Problem.
Im Ringen um Forderung nach mehr Geld und unbefristete Übernahme gehen die Beschäftigten verschiedener Bereiche in ganz Deutschland auf die Straße. Das ist zu spüren und weckt auch Unmut in der Bevölkerung. Warum ist Demonstration aus deiner Sicht dennoch das richtige Mittel?
Daniel Weber: Weil wir nur so zeigen können, wo die Hütte wirklich brennt. Wenn jetzt Erzieherinnen, Straßenwärter oder Beschäftigte bei der Müllabfuhr ihre Arbeit niederlegen, dann wird sichtbar, für was der Öffentliche Dienst alles verantwortlich ist. Wenn diese Arbeit nicht getan wird, bricht das System zusammen. Jetzt bleibt der Müll vielleicht zwei Tage länger stehen. Wenn wir aber kein Personal mehr finden, weil im Öffentlichen Dienst so schlecht bezahlt wird und die Arbeit unattraktiv ist, werden die Leute dauerhaft fehlen. Der Müll wird dann länger stehen bleiben. Was wir im Streik zeigen, macht der Bevölkerung klar: So kann in naher Zukunft der Alltag aussehen, wenn sich nichts ändert.