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Migrationshintergrund – oder deutsch mit zusätzlichen Features?

Öffentlicher Dienst
7. September 2022

Er ist in Deutschland geboren, zur Schule gegangen und hat hier seine Ausbildung in der Finanzverwaltung gemacht. Ali El-Zein ist also Deutscher. Doch oft bekommt der junge Mann im Gespräch mit anderen Menschen das Kompliment „Sie sprechen aber gut Deutsch“ – weil seine Eltern aus dem Libanon kommen. Warum sich das für ihn echt komisch anfühlt und was da eigentlich schiefläuft.

In den 80er Jahren herrscht Krieg im Libanon. Schon lange. Ali El-Zeins Eltern entschließen sich, ihr Heimatland zu verlassen und Schutz in Deutschland zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt ist Ali noch nicht geboren. Er kommt erst 1996 zur Welt. In Deutschland. Er besitzt einen deutschen Ausweis. Schon sein Leben lang. Für viele gilt Ali dennoch als Ausländer. „Weil wir uns optisch unterscheiden“, sagt der junge Finanzbeamte.

Er gilt als Mensch mit Migrationshintergrund. Diese möchte man auch im Öffentlichen Dienst verstärkt einstellen, um dort ein Abbild der Gesellschaft zu schaffen und die Stärken junger Menschen mit solchem Hintergrund mehr zu nutzen. Der Öffentliche Dienst soll bunter werden, vielfältiger. Das hört sich gut an.

Dauernder Erklärungsnotstand – das nagt

Doch holt die Realität den jungen Beschäftigten einer Finanzverwaltung in NRW oft ein. „Es gibt eine Sache, die finde ich seit meiner Kindheit furchtbar“, sagt er. Es kommt häufig, dass er erstaunte Blicke und das vermeintliche Kompliment zu hören bekommt: „Oh, Sie können aber gut Deutsch.“ Ihn verblüfft es immer wieder. „Meinst entgegne ich: ‚Wie meinen Sie das denn jetzt? Hören Sie mal, ich bin hier geboren!‘“ Nur aufgrund seines fremdländischen Aussehens gehen andere Menschen davon aus, dass Ali nicht gut Deutsch kann.

Wenn alle vor der Urlaubszeit über ihre Reiseziele reden und sich schwärmerisch mit Kollegen freuen, ist das bei Ali meist anders: Wenn er erwähnt, dass er in den Libanon fliegt, erntet er keine beneidenden Rückmeldungen, sondern die verständnislose Frage. „Was willst du denn dort?“ – „Dabei habe ich doch einen Teil meiner Familie dort. Es ist für mich ein Stück Heimat“.

Warum reden wir also nicht über mehr Gemeinsamkeiten und kommen weg von den Unterschieden?

Ali El-ZeinFinanzbeamter

Auch hier sticht für sein Empfinden der negative Blick auf Menschen mit Migrationshintergrund ins Auge. Das steht im Widerspruch zum Werben junger Menschen mit anderen Wurzeln für den Öffentlichen Dienst. Dabei wird plötzlich ein rundum positives Bild gemalt. Es sind Schlagworte wie „bereichernd“ und „bunt“ im Spiel. Worte, die Ali in seiner Realität eher weniger hört, wenn es um Migrationshintergrund und ähnliche Themen geht. Es knarzt also ordentlich.

„Migrationshintergrund“ ist negativ belegt

Das Problem: Der Begriff „Migration“ ist in vielen Köpfen negativ belegt. Auch Ali fällt das häufig auf: „Ich bekomme eher negative Aufmerksamkeit“, sagt er. Das zeigt sich nicht nur in verständnisloser Haltung zu seinem Reiseziel im Libanon. Oft drehen sich Gespräche um Religion, das Fasten oder die Stellung von Frauen im Libanon. Fragen zielen auf die mögliche Schlechterstellung von Frauen. Was die meisten nicht wissen oder bedenken: Im Herkunftsland seiner Eltern sind viele Religionen zu Hause. Rund 50 Prozent der Libanesen sind Christen (griechisch-orthodoxe, griechisch-katholische, armenische, maronitische), die andere Hälfte gehört moslemischen Glaubensrichtungen an (Schiiten, Sunniten, Drusen, Alawiten, Ismailiten). „Warum reden wir also nicht über mehr Gemeinsamkeiten und kommen weg von den Unterschieden?“, fragt er.

Er stellt fest, dass Menschen ihm gegenüber herumeiern, sich schwertun, offen und normal mit ihm zu sprechen, weil sie fürchten, falsch verstanden zu werden und um politisch korrekt zu bleiben. Es herrsche ein verdrehtes Grundgefühl vor, das auch in anderen Themenbereichen Anlass zu ausufernder aber nicht zielführender Debatte werde. Warum müsse man beispielsweise haarklauberisch über die Umbezeichnung von Muttermilch in Elternmilch sprechen, führt der junge Beamte als Beispiel aus einem anderen Themenbereich an. Warum müsse über Diversität diskutiert werden, statt einfach normal damit umzugehen?

Alleine darüber zu reden macht nichts besser

Alleine über die Dinge zu reden, löse keine Probleme. Überdies stünden viel größere Probleme im Raum: Das Gas wird bald unbezahlbar. Die Gesellschaft stehe vor großen Herausforderungen. Im Verhältnis zu solch drängenden Fragen, über die eine Diskussion unerlässlich sei, wünscht er sich mehr Normalität rund um Herkunft und optische Andersartigkeit. Weil sie – wie in seinem Fall – an der Sache vorbeiführe, denn: „Habe ich denn überhaupt einen Migrationshintergrund? Ich bin doch hier geboren und groß geworden“, stellt er offen in den Raum. „Wir haben die gleiche Schullaufbahn genossen und sind berufstätig.“

Trotzdem sei er immer schon als „Ausländer“ wahrgenommen worden. Meist mit dem unausgesprochenen Hintergrund, dass man schlechter sei, „dass ein Ali nicht so gut Deutsch kann und möglicherweise nicht so gut arbeitet wie ein Manfred“. Ali hofft auf ein Umdenken: Schon in der Schule früher habe er sich gewünscht, aufgrund seiner guten Leistung und persönlichen Fähigkeiten wahrgenommen zu werden. Auch heute bei der Arbeit sei das so. Meist aber sorgt seine Herkunft für die direktere Aufmerksamkeit.

Deutsch sein können mit zusätzlichen Features

„Ich möchte anerkannt, aber nicht so hervorgehoben werden“, sagt der junge Beamte. Für ihn gehe es um Anerkennung und Augenhöhe als Mitmensch in Deutschland. Weil er genauso deutsch sei wie andere – lediglich ergänzt um zusätzliche kulturelle Erfahrungen und Prägungen, die ihm seine Eltern aus dem Libanon mit auf den Weg gegeben haben.

Er habe manchmal das Gefühl, er müsse sich verstellen, um voll akzeptiert zu werden, sagt er. In vielen Momenten nehmen andere Personen nicht ihn wahr – ihren deutschen Kollegen -, sondern ihn als Repräsentanten einer anderen Kultur, die ihn aber nur zu einem Teil ausmache.

Trotzdem wünscht er sich, dass der Anteil von „Menschen mit Migrationshintergrund“ im Öffentlichen Dienst wächst. Als er 2014 seine Ausbildung zum Finanzwirt begonnen habe, sei er der einzige in der Dienststelle gewesen – „Was ja auch egal ist“, fügt er bei. Wenn aber der Anteil in der Finanzverwaltung und insgesamt im Öffentlichen Dienst steige, werde es vielleicht auch normaler und weniger wahrgenommen, so seine Hoffnung. Die Empfehlung für die Zukunft könnte also sein: Nicht sprechen – machen!

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