Gefahrenzone Öffentlicher Dienst: Lagebild besorgniserregender denn je
Eigentlich sollte es nach Feierabend nur eine Pizza sein. Doch nachdem Name und Adresse gesagt waren, kam eine Antwort, mit der man nicht rechnet: „Ach, sind Sie das von der Ausländerbehörde?“ Schon ist das ungute Gefühl wieder da, denn Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst bleibt ein Riesenthema. Das zeigte sich bei der Sicherheitskonferenz der dbb jugend nrw unter Beteiligung von NRW-Innenminister Herbert Reul.
Die Lage bleibt besorgniserregend: Selbst in Bereichen, die bislang beim Thema Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst nicht im Fokus standen, nimmt die Zahl von Übergriffen zu. Das zeigt sich in Finanzämtern, wo man ebenso wenig von Übergriffen verschont bleibt wie im Krankenkassen-Kundencenter. Das ist eines der Ergebnisse der Sicherheitskonferenz der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw).
Obwohl sie nun schon zum neunten Mal stattfand, reißen die Schockmeldungen aus den verschiedenen Bereichen des Öffentlichen Dienstes nicht ab. „Machen Sie das öffentlich!“ lautete so dann auch der Rat von NRW-Innenminister Herbert Reul, der als Keynote-Speaker zur Sicherheitskonferenz gekommen war.
Lagebild ist ernster denn je
Wie steht es um die Sicherheit der Beschäftigten in den Finanzämtern? Was ist in den Kliniken los? Was erleben Bedienstete in den Jobcentern oder Justizvollzugsanstalten? Um aus ihren Bereichen zu berichten, waren rund 20 junge Mitglieder der gewerkschaftlichen Jugenddachorganisation aus ganz NRW angereist. Ergebnis: Das Lagebild ist besorgniserregender und ernster denn je.
„Und das, obwohl in den inzwischen fast sieben Jahren, in denen die dbb jugend nrw das Thema durch ihre Kampagne Gefahrenzone Öffentlicher Dienst nach vorne bringt, das Bewusstsein in der Öffentlichkeit und auch in der Politik größer geworden ist“, sagt Susanne Aumann, Vorsitzende des Verbandes. Viele Verbesserungen seien auf den Weg gebracht worden.
”Unsere Haltung ist: Nicht meckern, sondern machen!
Susanne AumannVorsitzende dbb jugend nrw
Nach landesweiten Mahnwachen, Einträgen im Kummerkasten der Kampagnenseite und zahlreichen Gesprächen auf politischer Ebene seien die Dinge ins Rollen gekommen, sagt Aumann. „Die Medien haben begonnen, über das Thema zu berichten. Wenn Vorfälle passieren, nimmt man uns wahr und ruft uns an.“ In Wuppertal sei dies beispielweise der Fall gewesen. Aufgrund eines Vorfalles dort suchte jüngst RTL den Kontakt. „Weil wir in der Sache professionell und lösungsorientiert unterwegs sind“, wie Aumann betont.
Auch politisch ist der Stein ins Rollen gekommen. 2017 wurde das Strafgesetzbuch geändert und das Strafmaß bei Angriffen auf Vollstreckungsbeamte sowie auf Rettungsdienste und ehrenamtliche Kräfte von Feuerwehr und Katastrophenschutz verschärft.
Seit 2019 ist für Erleichterung beim Einrichten einer Auskunftssperre für öffentlich Bedienstete gesorgt, wie Aumann ebenfalls positiv erwähnte. 2020 führte die Stadt Köln das Melde- und Auskunftssystem ZeMaG ein, das inzwischen für großes Interesse in anderen Kommunen und Behörden sorgt.
„Im Jahr 2022 startete die NRW-Initiative #sicherimDienst und ist inzwischen zu einem großen Präventionsnetzwerk gewachsen, in dem sich mehr als 1000 Beschäftigte aus mehr als 350 Behören organisieren und über Schutzmaßnahmen austauschen“, sagt Aumann. Auch die dbb jugend nrw gehört diesem Netzwerk seit dessen Start an.
Gesundheitsschutz muss vor Datenschutz stehen
„Unsere Haltung ist: Nicht meckern, sondern machen!“, bekräftigte die Landesvorsitzende bei der Sicherheitskonferenz. Umso wichtiger sei es darum, in jedem Jahr wieder konkret von den Mitgliedern zu erfahren, welche Situation sich in den einzelnen Behörden über ganz NRW hinweg zeigt. Die traurige Realität, die sich jedoch trotz aller bislang erreichter Verbesserungen zeigt: Immer noch lassen Dinge wie die Schutzausstattung von Bediensteten zu wünschen übrig: Es gebe keine Schutzwesten, wo sie nötig seien und Alarmsysteme seien nicht flächendeckend vorhanden. Gesundheitsschutz stehe noch immer nicht konsequent vor Datenschutz.
Auch sei nicht allerorts das Bewusstsein der Dienstherrn auf den Schutz der Beschäftigten eingestellt. Eine Folge dessen: Sieben von zehn Vorfälle werden nicht zur Anzeige gebracht, wie jüngst die Studie AmboSafe zeigte. In einem solchen Ergebnis zeige sich Frustration und die Auffassung, dass eine Anzeige ohnehin nichts verändern werde. Manchmal ist eine solche Haltung auch bedingt durch das Wissen um mangelnde Rückendeckung durch den Vorgesetzten, die Sorge vor zusätzlicher Dokumentationsarbeit bei ohnehin anhaltender Arbeitsüberlastung oder aus Scham, so etwas könne nur einem selbst passieren und keinem anderen.
Bewusstsein schärfen – Familienfoto kann zur Waffe werden
„Wir bleiben weiter für euch an der Sache dran“, betonte Aumann. Es dürfe beispielsweise nicht Zufall sein, ob sich ein Dienstherr in dieser Sache einsetze. Es müsse hingegen eine Verpflichtung für jeden Dienstherrn sein, ein Schutzkonzept zu haben. Auch gelte es, das Gefahrenbewusstsein bei den Beschäftigten weiter zu schulen. Das Familienfoto auf dem Schreibtisch könne im ungünstigen Moment zur Waffe werden. „So etwas muss jeder wissen“, ergänzte sie. Präventionsschulungen und Qualifizierungsmaßnahmen seien flächendeckend notwendig.
Was die strafrechtliche Verfolgung von Übergriffen betrifft, so steht auf der Agenda des gewerkschaftlichen Jugenddachverbandes unter anderem auch ein Gespräch mit NRW-Justizminister Benjamin Limbach. „Vielleicht kommt jemand aus einer der betroffenen Berufsgruppen direkt mit – wir können eure Unterstützung dann gut gebrauchen“, kündigt Aumann an.