Was in der Pandemie für Frust sorgt
Immer wieder machen sich Querdenker und Coronaleugner in Protesten Luft. Es wird über Vertrauensverlusten in der Demokratie diskutiert. Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes geraten als Vertreter des Staates bei ihrer täglichen Arbeit oft unter Beschuss. Was ist los in Deutschland? Regierungsforscher Martin Florack ordnet ein.
Was sorgt im Moment für das von vielen empfundene Knirschen in der Demokratie?
Florack: Es kommen verschiedene Dinge zusammen. Diese mutmaßliche Krise der Demokratie wird ja nicht erst seit Beginn der Pandemie als großes Thema diskutiert. Die Pandemie setzt gewissermaßen nur einen drauf auf die Diskussion. Vertrauensverluste und die Frage, ob die Demokratie insgesamt vor einer problematischen Entwicklung steht, haben wir ja seit vielen Jahren. Parallel zu den pandemischen Wellen erleben wir eine unterschiedliche Entwicklung zur Verteilung des politischen Vertrauens. Zu Beginn der Pandemie haben wir zum Beispiel gesehen, dass das politische Vertrauen angestiegen ist. Es gab gerade keinen Vertrauensverlust, sondern große Vertrauensvorschüsse. Das ist zum Teil zerbröckelt. Aber zum Teil auch nur mit Blick auf bestimmte Gruppen. In vielen gesellschaftlichen Gruppen ist durch die Pandemie kein Systemmisstrauen gewachsen oder verstärkt worden. Aufmerksamkeit ist nicht gleichzeitig Bedeutsamkeit. Es gibt durchaus gravierende Repräsentationsdefizite, aber öffentlich werden diese nicht immer in zentraler Weise diskutiert.
Wen man im Moment sehr wahrnimmt sind doch Coronaleugner und Querdenker. Ist das eine kleine Gruppe, die sich sehr groß macht? Und wie spielt die gegen die Demokratie?
Florack: Mit Sicherheit gibt es viele problematische Gruppen. Viele Denkfiguren haben eine lange Tradition. Beispiel Impfskeptiker: Viele Argumente können wir bis zur Zeit der Pockenimpfung nachverfolgen. Schon im Kaiserreich waren zum Teil die gleichen Regionen des Landes betroffen, in denen auch jetzt die Impfquote so schlecht ist. Wichtige Verlagsorte für Publikationen von Impfgegnern der ersten Stunde waren Dresden und Stuttgart. Man reibt sich fast etwas verwundert die Augen und fragt sich, wie stabil manche Traditionen verankert zu sein scheinen.
Auf der anderen Seite ist diese Gruppe derjenigen, die bisher nicht geimpft ist, nicht homogen. Es wäre zu eindimensional anzunehmen, alle über die wir da reden, sind im harten Querdenkerlager. Radikale Gruppen sind aber besonders laut. Sie sind besonders heftig. Weil sie radikal sind, stürzen sich alle drauf. Es ist eine Frage der Aufmerksamkeit. Die 85 Prozent der Leute, die sich haben impfen lassen, sind nicht gleichermaßen laut. Sie sind aber 85 Prozent. Stellen wir diesen eine angenommene soziologische Größe von sagen wir mal 10 Prozent von Leuten gegenüber, die bei keiner Frage zu integrieren sind. Wo kommt dann die Vorstellung her, anzunehmen, man würde ausgerechnet bei dieser fundamental wichtigen Frage in dieser Ausnahmesituation etwas schaffen, das man in keinem Politikfeld und in keiner politischen Sachfrage herstellen kann, nämlich: Konsens. Es ist meines Erachtens zu sehr in den Hintergrund gerückt, dass das Wesensmerkmal von Demokratie Mehrheitsentscheidungen sind. Es ist eine völlige Verkehrung der Realität, anzunehmen, dass man Konsensentscheidungen treffen kann, denen hundert Prozent der Menschen zustimmen.
Die Gruppe der wirklichen Impfgegner ist verhältnismäßig klein. Dennoch sind eine Menge Verschwörungsmythen sehr laut. Können die der Demokratie trotzdem gefährlich werden?
Florack: Ich glaube, eine Erfahrung untergehender Demokratien ist, dass es nicht unbedingt eine Mehrheit von Widerständlichkeit gegenüber demokratischen Systemen braucht. Auch eine Minderheit ist potenziell in der Lage, Demokratien zum Fallen zu bringen.
Gucken wir einmal auf diejenigen, die in vielen Bereichen des Öffentlichen Dienstes jeden Tag politische Entscheidungen umsetzen. Sie beobachten gerade in Zeiten der Pandemie einen Zuwachs von Übergriffen auf sich. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das so ist?
Florack: Ein Aspekt, der sich in der Pandemie zeigt, ist das gesellschaftliche Unbehagen gegenüber Regulierung. Wir sind zwar extrem verliebt darin, Regeln aufzustellen und Regulierung zu haben. Doch steht es um das Sanktionspotenzial dieser Regeln bei uns nicht gut. Daher rührt der Frust von Leuten, die sich an Regeln halten und merken, dass diese nicht sanktioniert werden, es wohl aber Menschen gibt, die gegen diese Regeln verstoßen. Viele der Regeln, die wir uns pandemisch auferlegen, sind nämlich eben gerade nicht durch die Polizei zu erzwingen, sondern nur durch kollektive Einsicht. Das lässt sich auch nicht politisch diktieren. Am Ende sind wir kollektiv gefragt, uns diesen Regeln zu unterwerfen und sie als von uns selbst gestellte Regeln zu akzeptieren. Natürlich sind die Leute, die sich an bestimmte Dinge halten, nicht die Problemfälle, sondern die, die das genaue Gegenteil davon machen.
Zur Person
Martin Florack ist Politikwissenschaftler und arbeitet derzeit als Projektleiter im Landtag Rheinland-Pfalz. Er ist Fellow der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen, an der er als Politikwissenschaftler arbeitete. Zuvor gehörte er der Enquete-Kommission des Landtags NRW „Subsidiarität und Partizipation – Stärkung der Demokratie“ an und gab im Jahr 2021 das Buch „Coronakratie – Demokratisches Regieren in Ausnahmezeiten“ mit heraus.
Bringt die Coronakrise die Demokratie ins Wanken?
Florack: Aus meiner Sicht ist es absolut fehl am Platze, das Totenglöckchen der Demokratie zu läuten. Diese Grundsatzfrage steht nicht auf der Tagesordnung. Es geht doch nicht darum, kritiklos alles zu schlucken, sondern die Zielvorstellung liberaler Demokratien sind kritikfähige und mündige Bürger. Insofern wäre es verkürzt, jede Form von Kritik sofort als demokratiefeindlich zu brandmarken.
Wer findet Gehör? Welche Positionen werden abgebildet?
Florack: Natürlich gibt es da Defizite bei einigen, die sich nicht gehört fühlen. Da können junge Leute ein Lied von singen. Deren Perspektiven sind sicher eingeschränkt. Es gehört aber auch zur Wahrheit dazu, dass sie in unserer demokratischen Pyramide im Vergleich ziemlich wenige sind. Und dass auch die Wahlbeteiligung in den jungen Altersgruppen geringer ist. Darum sind andere Alterskohorten wesentlich durchsetzungsstärker in dieser Pandemie.
Insgesamt gilt: Die Bewertung von Demokratien ist so vielschichtig, wie Demokratien unterschiedlich sind. Insofern geht es nicht um eine einfache Bewertung im Sinne von „Daumen rauf“ oder „Daumen runter“.