Welche Folgen hat die Pandemie für unsere Demokratie?
Die Pandemie bringt die Demokratie zum Knirschen, finden manche. Entscheidungen würden zu langsam getroffen, Querdenker brüllten zu laut, Frust mache sich breit. Ist das wirklich so? Regierungsforscher Martin Florack wirkte in der Enquetekommission „Stärkung der Demokratie NRW“. Hier gibt er Antworten.
Wie kommen Demokratien im Vergleich zu anderen Systemen durch die Pandemie?
Florack: Es ist zu früh, eine Bilanz dazu ziehen, ob Demokratien besser, schlechter oder gleich gut als autokratische Systeme darin sind, die Pandemie zu bekämpfen. Die Erfahrung zeigt, dass Demokratien sehr anpassungsfähig sind und vor allen Dingen als lernende Systeme viel besser aufgestellt sind, mit Ungewissheit und Unsicherheit umzugehen. Die Annahme, dass China zum Beispiel die Pandemie viel besser im Griff hätte, wäre also eine gewagte These.
Wenn Sie den Vergleich schon anstellen: Was sind denn die Vorteile von Demokratien?
Florack: Demokratien sind sehr gute Problemlöser. Das sieht man auch bei anderen Problemen als der Pandemie. Denn in einer Demokratie gibt es eingebaute Korrekturmechanismen. Sie sind vielleicht nicht immer die Schnellsten. Aber Schnelligkeit ist ja umgekehrt auch nicht unbedingt vorteilhaft beim Treffen richtiger Entscheidungen. Sie verhindert nicht, dass man schon über die Klippe springt und es erst dann merkt, dass es die falsche Richtung gewesen ist. Die Bilanz von Demokratien ist in der Vergangenheit gut. Es würde mich sehr wundern, wenn es am Ende der Pandemie anders aussähe.
Florack: Wir haben bislang gesehen, dass sowohl Regierungen wie auch Parlamente schnelle Entscheidungen treffen können – beispielsweise beim Infektionsschutzgesetz. Das war eine Frage von Tagen. Das normale Gesetzgebungsverfahren dauert hingegen mehrere Monate. Ich glaube, dass die Unzufriedenheit der Menschen nicht daher rührt, was möglich ist oder was nicht. Es besteht ein Missverständnis darüber, was die Aufgabe von Politik in so einer Situation ist. Die Aufgabe liegt nicht darin, eine Entscheidung von richtig oder falsch zu treffen, wenn beispielsweise die Wissenschaft etwas vorschlägt. Die Aufgabe von Politik liegt darin, herauszufinden, ob es eine Mehrheit für eine Position gibt und danach eine demokratische Entscheidungsfindung herbeizuführen. Politische Entscheidungen können häufig nicht erst dann getroffen werden, wenn richtig und falsch ausdiskutiert ist. Es geht vielmehr darum, unter Bedingungen von Unsicherheit Entscheidungen zu treffen, die in der Lage sind, gesellschaftliche Konflikte auf Zeit zu befrieden. Es ist das Wesen von Politik, Entscheidungen zu treffen und gegebenenfalls auch mit Dilemmata zu leben.
Zur Person
Martin Florack ist Politikwissenschaftler und arbeitet derzeit als Projektleiter im Landtag Rheinland-Pfalz. Er ist Fellow der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen, an der er als Politikwissenschaftler arbeitete. Zuvor gehörte er der Enquete-Kommission des Landtags NRW „Subsidiarität und Partizipation – Stärkung der Demokratie“ an und gab im Jahr 2021 das Buch „Coronakratie – Demokratisches Regieren in Ausnahmezeiten“ mit heraus.
Florack: Das ist das Missverständnis von Gewaltenteilung. Wir haben ja keine Teilung der Gewalten, sondern wir haben eine Funktionsaufteilung. Alle Gewalten müssen zusammenarbeiten. Es geht darum, die unterschiedliche Ausübung von Gewalten so miteinander zu verschränken, dass sie sich wechselseitig hemmen, kontrollieren, aber auch befördern können. Es wäre also ein Missverständnis der parlamentarischen Demokratie, wenn man den Eindruck erweckt, es handele sich um ein System drei völlig unabhängig voneinander arbeitender Säulen.